Macht (German Edition)
Ländern beruht die Schwierigkeit darauf, dass der Klassenkonflikt quer durch den nationalen läuft, was zur Folge hat, dass in demokratischen Ländern die Kapitalisten, in faschistischen Ländern die Sozialisten und Kommunisten in gewissem Maße von anderen Überlegungen geleitet werden als solchen des nationalen Interesses. Wenn diese Abkehr von nationalistischen Zielen verhindert werden kann, wird die Stärke eines Landes sicherlich zunehmen, nicht aber, wenn es zur Erreichung dieses Zieles notwendig ist, das ganze Niveau der Intelligenz zu senken. Für Regierungen ist das Problem schwierig, da der Nationalismus ein dummes Ideal ist, und intelligente Menschen erkennen, dass er Europa zerstören muss. Die beste Lösung ist, ihn unter einem internationalen Schlagwort zu verdecken, wie etwa Demokratie oder Kommunismus oder kollektive Sicherheit. Wo das nicht möglich ist, wie in Italien oder in Deutschland, verlangt die äußere Uniformität nach Tyrannei und bringt nicht leicht ein wirkliches inneres Gefühl hervor.
Fassen wir zusammen: Ein Glaube oder ein Gefühl irgendwelcher Art ist für die gesellschaftliche Kohäsion wesentlich, muss aber, um eine Kraftquelle sein zu können, ursprünglich und von der großen Mehrheit der Bevölkerung – einschließlich eines erheblichen Prozentsatzes der für die Technik Verantwortlichen – tief empfunden sein. Wo diese Bedingungen fehlen, können die Regierungen versuchen, sie mittels Zensur und Verfolgung zu schaffen; wenn aber Zensur und Verfolgung streng sind, entfernen sie die Menschen von der Wirklichkeit und machen sie unwissend oder nachlässig gegenüber Tatsachen, die zu wissen wichtig ist. Da die Machthaber von ihrem Machttrieb irregeführt werden, werden die Eingriffe in die Freiheit, die am meisten zu nationaler Macht beitragen, immer geringer sein, als die Regierungen zu glauben gewillt sind; daher wird ein verbreiteter Widerwille gegen solche Eingriffe, vorausgesetzt, dass er nicht bis zur Anarchie führt, die nationale Stärke erhöhen. Es ist aber unmöglich, über diese Allgemeinheiten, außer in Bezug auf bestimmte Fälle, hinauszugehen.
Die ganze obige Auseinandersetzung hindurch haben wir nur die unmittelbareren Wirkungen eines fanatischen Glaubens untersucht. Die weiter reichenden Wirkungen sind durchaus verschieden von ihnen. Ein Glaube, der zur Hervorbringung von Macht dient, führt eine Zeitlang zu großen Anstrengungen, diese aber, besonders dann, wenn sie keinen großen Erfolg haben, führen zur Ermüdung, und Ermüdung führt zur Skepsis – nicht sogleich zu wirklichem Unglauben, sondern einfach zum Fehlen eines starken Glaubens (17) . Je mehr die Propagandamethoden ausgewertet wurden, um Erregung hervorzubringen, desto größer wird die Reaktion sein, bis schließlich nur noch ein ruhiges Leben Wert zu besitzen scheint. Wenn nach einer Periode der Ruhe die Bevölkerung wieder zur Erregung fähig ist, wird sie einen neuen Stimulans brauchen, da die früheren ihre Wirkung verloren haben. Daher sind zu intensiv angewandte Anschauungen in ihrer Wirkung wandelbar. Im dreizehnten Jahrhundert waren die Vorstellungen der Menschen von drei großen Männern bestimmt: dem Papst, dem Kaiser und dem Sultan. Der Kaiser und der Sultan sind verschwunden, und die Macht des Papstes ist ein Schatten von dem, was sie einst war. Im sechzehnten und frühen siebzehnten Jahrhundert war Europa voll von Kriegen zwischen Katholiken und Protestanten, und jede Propaganda von Bedeutung unterstützte die eine oder die andere der beiden Anschauungen. Und doch fiel der Endsieg keiner der beiden Parteien zu, sondern jenen, die ihre Ziele als unwesentlich ansahen. Swift machte sich über den Krieg in seinen Feldzügen der Big-Endians und der Little-Endians lustig; Voltaires Hurone, der mit einem Jansenisten im Gefängnis steckt, hält es für gleichermaßen dumm, dass die Regierung seine Bekehrung verlangt und er sie verweigert. Wenn die Welt in naher Zukunft in Kommunisten und Faschisten zerfallen sollte, wird der Endsieg weder diesen noch jenen gehören, sondern den dritten, die mit einem Achselzucken, gleich Candide, sagen: »Cela est bien dit, mais il faut cultiver notre jardin.« Der Macht des Glaubens ist durch Langeweile, Ermüdung und Bequemlichkeit ihre äußerste Grenze gesetzt.
ELFTES KAPITEL
DIE BIOLOGIE DER ORGANISATIONEN
W ir haben bisher jene Gefühlsfaktoren betrachtet, die die wichtigsten psychologischen Quellen der Macht darstellen: Tradition, besonders in
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