Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
befreiend, weil gesellschaftliche Anerkennung zwar erhebend ist in der Phase der Zustimmung, aber die unvermeidliche öffentliche Kritik, die beinahe jeder Erfolgreiche in mindestens der Höhe erlebt, auf die die Latte des Zuspruchs gelegt wurde, irgendwann zur Last wird.
In den Geschichten meiner Gesprächspartner sind es vor allem die kleinen Verluste, die verlorengegangenen Bindungen, die menschlichen Enttäuschungen, die eigene Antastbarkeit, die inhaltliche Leere, die zu Traurigkeit oder Verdruss führen.
Wie leicht es mir war, vermeintliche Bedeutung zu verlieren, hat mich selbst überrascht. Schon einige Zeit vor meinem Ausstieg habe ich mich intensiv mit der Frage beschäftigt, was von der eigenen Persönlichkeit bleibt, wenn die Funktion weg- fällt. Wie sehr ich schon mit der Rolle verschmolzen bin. Ob sich die Wahrnehmung von außen wandelt und wie ich mich selbst dabei erfahre. Antworten habe ich damals nicht gefunden, eher Vermutungen. Eine Hoffnung vielleicht, dass sich das, was ich intellektuell meist zu reflektieren imstande gewesen bin, wann die Funktion und wann ich selbst gemeint war, und die Distanz, die ich deshalb zu den verlockenden Täuschungen zu haben glaubte, sich auch im Ernstfall bestätigen würden. Doch nicht immer lindert das Bewusstsein die brachiale Unwucht der tatsächlichen Erfahrung.
Wie viele andere habe ich den Druck der stetigen Bewertung, der enormen Handlungsgetriebenheit erst im Nachhinein bewusst empfunden. In der Rolle verbarg er sich hinter seinen verschiedenen Masken, oft die der Begeisterung, die der Verantwortung, manchmal auch die des Pflichtbewusstseins. Aber jeden Tag aufs Neue hatte er die Kraft, mich über die Belastung hinweg anzutreiben.
Vielmehr als getrauert um all das, was mir verlorenging, habe ich gerungen mit dem Zutrauen in das, was nun mein Inhalt sein sollte. Beinahe täglich habe ich mit meiner Überzeugung gerungen, nun einen anderen Weg zu gehen, fernab dessen, was mir Jahrzehnte vertraut war. Nicht dem Reflex nachzugeben, rasch auf vertrautes Terrain zurückzukehren. Das Gefühl zuzulassen, im reißenden Fluss zu schwimmen, die Baumstämme zu sehen, greifbar zu haben und doch vorbeitreiben zu lassen.
Die Annäherung an das Neue, Unbekannte, das Fehlen der vertrauten Mechanismen, eines beherrschbaren Umfeldes und die Berechenbarkeit der eigenen Fähigkeiten sind oft die größte Herausforderung. Besonders für diejenigen, die eine außergewöhnliche Begabung zu ihrem Beruf machen, die durch nichts anderes ersetzbar ist, wie Sportler oder Künstler. Eine Leistung, die sie in den Heldenstatus erhebt, ohne den sie wieder einfach nur Menschen sind.
Ich habe mich gefragt, ob es den Moment der Erkenntnis, die Entdeckung der unausweichlichen Veränderung, ein zweites Mal geben kann. Den Moment des Anfanges. Einen Anlass, an dem sich mit absoluter Sicherheit anfühlt, nun richtig zu sein, in einem neuen Lebensabschnitt. Möglicherweise gibt es ihn, vielleicht ist ihm so mancher meiner Gesprächspartner längst begegnet. Vielleicht werde auch ich ihm irgendwann begegnen.
Heute glaube ich eher, es wird so bleiben, wie es jetzt ist. Dass ich an jedem Tag froh und dankbar bin, für die neue Perspektive, für das Wachstum, das in der Veränderung liegt, für die Selbstbestimmtheit. Und immer wieder werde ich wohl auch in Zukunft etwas vermissen. Werde ich bei der Zeitungslektüre denken, diese Entscheidung hätte ich gern getroffen, diese Entwicklung gern gestaltet. Oder ich wäre einfach gern dabei gewesen, in dieser oder jener Situation. So, wie sich jeder Abschied anfühlt, wenn er etwas hinterlässt, was gut und wichtig gewesen ist. Mit einem liebevollen Rückblick und nostalgischer Verklärung in Augenblicken. Wie ich die Lagerfeuermentalität aus meiner Zeit als Fußballtorhüterin manchmal vermisse oder das Gemeinschaftsgefühl nach einem harten Spiel, ob gewonnen oder verloren.
Zurückkehren auf den Fußballplatz mochte ich jedoch nie.
Die Gesprächspartner
Wolfgang Berghofer
Früherer FDJ-Funktionär und SED-Politiker, von 1986 bis 1990 Oberbürgermeister von Dresden. Nach der Wiedervereinigung ohne politisches Amt. Ist heute Vorsitzender eines Beitragsverbandes und selbständiger Unternehmensberater in Berlin.
Björn Engholm
SPD-Politiker, ehemaliger Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, SPD-Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat. Rücktritt von allen Ämtern nach Falschaussage im Untersuchungsausschuss zur Barschel-Affäre. Keine
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