Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
vertraut.
Was er nach seiner Rückkehr und dem endgültigen Karriereende machen wird, weiß er noch nicht. Er kann sich vieles vorstellen und manches mag ihm erst bewusst werden, wenn er Zeit hat, sich selbst bewusst zu werden. Kolumnen schreiben, vielleicht mehr. Es könnte sein, dass dann sogar der eine oder andere Kollege aus der Premiere League mal etwas von ihm liest. »Manchmal haben selbst diejenigen nachgefragt, was ich lese, die vorher am lautesten über mein Faible für Literatur gelacht haben.« Und ab und an hat sogar einer zugegeben, auch ein Buch zu lesen, »meistens die Biographie von Paul Gascoigne«, scherzt er. Natürlich nur, wenn sie allein gewesen sind.
Ich habe ein Buch geschrieben. Es gab mir die Möglichkeit, den Fragen nachzugehen, die mir am Herzen liegen. Und es gab mir die Chance, besondere Menschen zu treffen, um mit ihnen über ihre Erfolge und Brüche zu sprechen. Ich konnte so Beobachtungen und Gedanken verdichten, die mich seit langer Zeit umtreiben. Vor allem aber ist es ein Buch, das mir zum treuen, fordernden, tröstenden und oftmals widerspenstigen Begleiter meines ganz persönlichen Veränderungsprozesses geworden ist.
Irgendwann plauderte ich in einer Radiosendung des Bayrischen Rundfunks über meine Liebe zur Sprache und Literatur. Kurz darauf rief mich eine Lektorin an, die zufällig im Auto zugehört hatte, und ermutigte mich in vielen nachfolgenden Gesprächen dazu, selbst zu schreiben. Ohne Themenvorgabe, offen für meine Ideen. Ich begann mich damit zu beschäftigen, zaghaft zunächst in den seltenen freien Stunden,aber mit wachsender Hinwendung zu all dem, was ich lange schon in mir bewegt habe.
Als das Ende meiner HSV-Vorstandszeit unausweichlich wurde, war ich mir längst sicher, dass ich dieses Buch tatsächlich schreiben will. Und jetzt konnte ich es auch. Nicht nur, weil ich die Zeit und die Freiheit dazu hatte, sondern vor allem, weil es meine eigene Geschichte gibt, die mir, wie ich im Verlauf der mehr als hundert Gespräche, die ich in den vergangenen eineinhalb Jahren für dieses Buch führte, verstanden habe, überhaupt erst möglich gemacht hat, den direkten Zugang zu den Interviewpartnern und zu deren Erfahrungen zu finden. Die neuralgischen Punkte zu sehen.
Dieses Buch, die Begegnungen und die Gespräche mit den zu Wort kommenden Menschen und auch die mit mir selbst haben meinen persönlichen Veränderungsprozess geprägt und gelenkt und mir als Handlauf durch eine einschneidende, oftmals wackelige Lebensphase gedient.
Bis zum Tag meines Ausscheidens als Vorstand hatte ich immer eine relative Kontrolle über das, was ich tat. Eine präzise Einschätzung davon, welche Rolle ich zu erfüllen habe, was ich kann und was nicht. Sowohl als Sportlerin als auch in meinen darauffolgenden beruflichen Stationen stützte mich eine beruhigende Sicherheit der konstant abrufbaren Leistung. Schreiben ist anders. Schreiben ist an jedem Tag ein Abenteuer. Schreiben entzieht sich der Kontrolle. Schreiben ist allein. Und Schreiben ist still.
Wenn ich mit den Menschen über die Zeit nach einem Einschnitt gesprochen habe, ging es oft um verlorenen Einfluss, abklingenden Ruhm, schwindenden Status. Das, was in den Augen der externen Betrachter das größte Leid verursachen muss. Aber ich habe gelernt, dass für viele, die einen Bruch erlebt haben, ganz andere Aspekte eine viel größere Rolle spielen.
Keiner erzählte mir vom schmerzenden Verlust funktionsbedingter VIP-Behandlung, Upgrades im Flugzeug, freier Tische in vollbesetzten Restaurants und glamouröser Einladungen. Auch die Trauer um den Verlust oder die Aufgabe konkreter Machtausübung, das Dirigieren von Menschen und Institutionen, positionsimmanenter Bedeutungsüberhöhung mag niemand zugeben. Ob das die Wahrheit ist, muss jeder für sich selbst beantworten. Manche Privilegien bleiben ohnehin über den Status hinaus erhalten, auch wenn der Wirkungsradius womöglich enger wird. Vielleicht, weil jeder auf eine Weise in Funktion bleibt, der mal ein herausragendes Amt bekleidet hat. So, wie Hartmut Mehdorn immer Bahn-Chef, Roland Koch immer Politiker und Sven Hannawald immer Skispringer bleibt. Weil die Reaktionen der Menschen nach einem Rücktritt, einem Scheitern, im persönlichen Kontakt viel freundlicher sind als die medialen Urteile. Trügerisch auch, weil plötzlich nur noch die Stimmen der Tröstenden und Wohlmeinenden hörbar sind, die Kritiker sich längst dem nächsten »Fall« zugewandt haben. Aber auch
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