Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
Aber er kommt gut damit klar, in dem, was er tut, nicht mehr der Beste zu sein. Seine Beliebtheit ist ungebrochen, auch wenn weniger über ihn geschrieben wird. Und wenn, dann zumeist im Zusammenhang mit seiner Krankheit oder Magersuchtgerüchten um seine schöne Freundin, die er bald heiraten will.
Manchmal blättert er inzwischen durch die Zeitungsartikel von früher. Und dann liest er von einem, der bei einer Vierschanzentournee alle vier Springen gewonnen hat. Vier Siege bedeutet viermal mindestens nahe an der Perfektion. Das ist eine einzigartige Leistung. Ein Supertyp muss das gewesen sein.
Ihr sei bange gewesen vor unserer erneuten Begegnung, gesteht Maria Jepsen, die Frau, die so kühn durch die Instanzen und über die reaktionären Demarkationslinien der protestantischen Kirche geschritten ist. Auch ihr Mann habe gesagt, es sei besser, sich nicht wieder mit »dem Thema« zu beschäftigen und aufzuwühlen, wie an so vielen Tagen seit ihrem Rücktritt. Eigentlich mag sie nicht mehr öffentlich Stellung nehmen. Andere sollen reden, das erwartet sie zumindest. Sie spricht jetzt lieber mit den Opfern des Missbrauchsskandals, mit dem Sprecher der Gruppe hat sie sich mehrfach getroffen. Viele Betroffene haben ihr längst deutlich gemacht, dass sie keine persönliche Verantwortung bei der Bischöfin sehen. Ihre Kirche bleibt ihr das noch immer schuldig.
Ruhestand sei eigentlich schön, sagt die farbenfroh gekleidete Frau in ihrem farbenprächtigen Garten. Gearbeitet habe sie auch genug in den vergangenen vierzig Jahren. Tüchtigkeit ist eine Tugend. Jetzt fühlt sie sich wie im Dauerurlaub, frischt jeden Morgen zwei oder drei Stunden ihr Griechisch und Hebräisch auf, liest Texte im Original. Heute hat ihr eine Vokabel gefehlt, das hat sie mächtig gewurmt. Bei Luther fand sie am Ende eine Herleitung. Aber ob die Übersetzung so stimmt? »Sei’s drum.« Sie hat ihre eigene Deutung.
Immer häufiger, gibt sie schelmisch zu, daddelt sie jetzt am Computer. Sie schreibt jetzt Mails, das hat vorher ihre Sekretärin gemacht. Von der Eroberung des Computers berichtet sie so stolz wie ein Kind vom Seepferdchen-Schwimmabzeichen. In diesen Momenten wirkt sie sehr jung und lebendig. Manchmal spielt sie auch ein bisschen, aber nur Strategiespiele. »Nicht mehr Rollenspiele wie als Bischöfin.« Auch wenn sie diese Rolle mit Leib und Seele gespielt hat. »Aber als Mensch habe ich andere Seiten.« Jetzt sei sie »nur« Maria Jepsen. Und wenn sie gefragt wird, ob sie mit dem abgegebenen Titel angesprochen werden will, dann sagt sie meistens höflich nein. Sie muss auch nicht in der ersten Reihe sitzen. Die Dienstwohnung mitten in Hamburg, die hat sie gemocht, aber ihr rotes Holzhaus in Husum ist mindestens genauso schön. Sie sitzt oft im Strandkorb hinter dem Haus und liest oder sinniert.
Am liebsten aber reist sie durch die Welt, gerade ist sie in St. Petersburg gewesen. Dort wird sie noch immer als Bischöfin gesehen. Dort kennt niemand ihren Makel. Hierzulande glaubt sie, sähen die Menschen in ihr die »Missbrauchsbischöfin«, zumindest diejenigen aus ihrer eigenen Organisation, die sie drängten, sofort nach dem Ausscheiden auch alle ihre Bundesämter abzugeben. »Alles musste so schnell gehen, das war unwürdig.« »Tabula rasa« habe man mit ihr gemacht. Als könne man den Stachel der Schuld auf diese Weise entfernen.
Mit der Verarbeitung ist sie inzwischen weiter. Ihr Stachel der Enttäuschung lockert sich. Aber wenn sie darüber spricht, so wie jetzt, spürt sie schon, dass sie noch wund ist. An den anderen Tagen hat sie die Verletzungen gut verbunden. Auch weil sie viel Zuspruch bekommt. Viel mehr sogar als früher. Da wurde sie oft angepöbelt wegen ihrer radikalen Positionen im Sinne der Mitmenschlichkeit.
Andere haben sich entfernt, auch solche, von denen sie Besseres erwartet hätte. Mitgefühl vor allem. »Man ist schnell von den Listen runter«, sagt sie, das habe sie früher anders gemacht. Aber das sei wohl der Unterschied zwischen einer Institution und einem Menschen. Die Institution blickt nach vorne, sieht die Opfer nicht. Das sei dumm. Vergänglichkeit.
An diesem Abend eröffnet sie eine Sommerkirchenveranstaltung auf Eiderstedt. Das Schönste daran sei, dass »die Sache« in der Ankündigung mit keinem Wort erwähnt wurde. Eine Zeitung nannte sie sogar »die beliebte ehemalige Bischöfin«. Es werden viele Menschen erwartet. »Vielleicht wegen des Orgelkonzertes«, trickst die Hauptdarstellerin
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