Machtlos
auf dem Handy gehört hatte, versuchte er mit allen Mitteln, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Bisher ohne Erfolg. Und erst jetzt, mehr als vierundzwanzig Stunden später, erhielt er die Auskunft, dass sie sich tatsächlich in Gewahrsam der Polizei befand.
»Warum ist Mama noch nicht wieder da?«, hatten die Mädchen am Morgen gefragt, als er sie geweckt hatte.
Die halbe Nacht hatte er wach gelegen und darüber nachgedacht, was er antworten würde, wenn sie ihn das fragen würden. Die andere Hälfte der Nacht hatte der Schlaf ihn aus Sorge um Valerie geflohen.
»Sie ist in London aufgehalten worden. Ihr Flugzeug konnte wegen Nebel nicht starten.« Mit dieser Lüge hatte er seine Kinder vorläufig beruhigt. »Sie hat gestern Abend, als ihr schon im Bett wart, noch angerufen. Ich soll euch von ihr küssen. Wenn ihr aus der Schule kommt, ist sie bestimmt zurück.« Was würde er ihnen erzählen, wenn sie am Nachmittag nach Hause kamen? Er müsste längst in der Reederei sein, aber seine Sekretärin wusste, wie sie ihn im Zweifelsfall erreichen konnte, und hatte auf seine Bitte hin die Vorstandssitzung auf den kommenden Tag verschoben.
Das Klingeln der Türglocke schreckte ihn aus seinen Gedanken. Ihre alte Stadtvilla lag am Leinpfad in Hamburg-Winterhude direkt an der Alster. Marcs Großeltern hatten das Haus um die Jahrhundertwende bauen lassen, und er war mit Valerie vor einigen Jahren hier eingezogen, seit seine Mutter nach dem Tod seines Vaters ihren Lebensabend in der Schweiz verbrachte.
Marc drückte den Knopf der Gegensprechanlage. »Ja, bitte?«
»Eric Mayer, Auswärtiges Amt. Machen Sie bitte die Tür auf.«
Marc stockte das Herz. Überrascht drückte er den Türöffner. Hoffnung keimte in ihm auf.
Mayer kam nicht allein. Als er den kurzen Weg heraufkam, der von der Straße zur Tür führte, erblickte Marc einen großen kantigen Mann, etwa Ende dreißig, gefolgt von zwei weiteren Männern in Zivil und zwei uniformierten Beamten der Hamburger Polizei, die zusammengeklappte Umzugskartons trugen.
»Herr Marc Weymann?«, fragte Mayer.
Marc nickte. »Haben Sie meine Frau am Flughafen festgenommen?«
Statt einer Antwort zog Mayer ein Schreiben aus der Innentasche seines Mantels und reichte es Marc. »Wir haben einen Durchsuchungsbefehl für Ihr Haus.«
Marc warf nur einen flüchtigen Blick darauf. »Sie haben meine Frau in Gewahrsam, und jetzt wollen Sie auch noch unser Haus durchsuchen? Sagen Sie mir erst, worum es hier geht.«
Auf der Straße blieb ein Passant neugierig stehen. Mayer warf Marc einen vielsagenden Blick zu. »Ist es nicht vielleicht besser, wenn wir reingehen?«
Widerstrebend ließ er die Polizisten herein und schloss die Haustür hinter ihnen. Mayer betrachtete anerkennend das Interieur. »Wir möchten als Erstes das Arbeitszimmer Ihrer Frau sehen«, sagte er dann.
Marc rührte sich nicht von der Stelle. »Warum haben Sie Valerie festgenommen?«
»Ihre Frau wird verdächtigt, eine terroristische Organisation zu unterstützen.«
»Wie bitte?«, fragte Marc fassungslos.
»Kennen Sie eine Frau namens Noor al-Almawi?«
Marc versuchte, das plötzliche Zittern seiner Hände zu unterdrücken.
Mayer fragte nicht weiter. »Das Arbeitszimmer?«, wiederholte er nur.
Marc führte die Männer wie paralysiert durch den Flur zu einem der zum Garten gelegenen Räume und stand schweigend im Türrahmen, während sie Schränke ausräumten und Schubladen durchsuchten. Es fiel ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Valerie. Noor. Er sah die beiden Frauen wieder vor sich, wie sie in den vergangenen Monaten zusammengesteckt und getuschelt hatten. Plötzlich verstummten, wenn er den Raum betrat.
Nein, das konnte nicht sein. Valerie lehnte Gewalt ab. Sie verurteilte jede Form des Terrorismus, auch wenn sie verstand, dass seine Ursache in der weltweit ungleichen Verteilung des Reichtums und den Tücken der Globalisierung lag, und willens war, diese im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu bekämpfen.
»Wie lange werden Sie meine Frau noch festhalten?«, fragte er. »Sie hat ein Recht darauf, ihren Anwalt zu sehen. Außerdem will ich mit ihr sprechen.«
Mayer sah von seinen Unterlagen auf, die er flüchtig durchblätterte. »Ich darf Ihnen über den Stand der Ermittlungen keine Auskunft geben, Herr Weymann.«
»Ich bestehe darauf, dass Sie mir sagen, wer Valerie anwaltlich vertritt oder ob ich mich …« Mayers Blick ließ ihn verstummen. Marc würde nichts erfahren. Nicht von ihm und auch von sonst
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