Machtrausch
wollte er im Moment gar nicht führen. Er hatte viel zu viele berufliche Probleme, um auch noch diese Front aufzumachen. Ganz ruhig kam es von Barbara zurück:
»Jetzt ist es ja endlich raus. Da liegt also der Hund begraben! Wenn du mit unserem Sexualleben ein Problem hast, sollten wir mal in Ruhe darüber reden, o.k.! ?« Anton nickte und legte zustimmend den Arm um seine Frau. Ihrer Antwort entnahm er zweierlei: Sie wollte darüber reden, aber nicht jetzt. Und zweitens schien seine Frau selbst mit ihrem ehelichen Sexualleben kein Problem zu haben. Diese Erkenntnis vergrößerte in seinen Augen das Dilemma zusätzlich.
Am nächsten Morgen standen die Glocks sehr früh auf und fuhren durch strömenden Regen auf der Autobahn nach München zurück. Der wunderschöne Chiemsee, das bayrische Meer, wie man ihn auch nannte, lag nicht einmal eine Autostunde von ihrer Wohnung entfernt. Während der Fahrt drehte Barbara, die am Steuer des Saab saß, sich plötzlich zu ihrem Mann um:
»Wer hat dir damals eigentlich dieses alte Pornofoto aus den Achtzigerjahren geschickt. Das muss doch irgendeinen Sinn gehabt haben! ?« Anton brummelte ein paar Worte, die möglicherweise »Woher soll ich denn das wissen? !« lauten sollten und sah aus dem nassen Fenster. Ihm war mittlerweile durchaus klar, dass Renate selbst ihm das Foto geschickt haben musste. Über die Gründe konnte er allerdings nur spekulieren, da er seit seiner Rückkehr aus Male noch keinen Kontakt zu ihr gehabt hatte. Er hatte dazu zwei Hypothesen: Erstens, Renate war bewusst geworden, dass der Macht rausch, dem sich der Pakt hingegeben hatte, in einen nicht endenden Blut rausch zu münden drohte. Fing man erst einmal an, Probleme mit Gewalt zu lösen, so entstanden daraus sofort weitere Probleme, die nur mit neuer Gewalt lösbar waren. Mit dem Foto an ihn hatte Renate möglicherweise die Notbremse ziehen wollen. Oder um mit Schachter-Radigs Theorie zu sprechen: Vielleicht war Renate nicht um 180 Grad, sondern nur um 175 Grad verbogen worden … Die fehlenden fünf Grad hatten gereicht, die Sache noch einmal zu wenden. Eine zweite Hypothese lautete (und Anton wollte gerne an diese Variante glauben), dass seine Ex-Geliebte ihn hatte warnen, retten wollen. Dazu hatte sie in einem ihrer stärkeren Momente das Foto abgeschickt und damit, zumindest unabsichtlich, die Auflösung des von ihr mitverantworteten Paktes unumkehrbar ins Rollen gebracht. Im Prinzip war es auch egal. Anton hatte es sich zur Regel gemacht, und dies war ein weiteres seiner Gesetze, gute Taten und Absichten niemals allzu sehr auf das dahinter liegende Motiv hin zu hinterfragen. Tat man dies nämlich, fand man bei tieferem Bohren hinter jeder gut (gemeinten) Handlung schließlich ein niederes Motiv. Egoismus. Angst, einen Menschen zu verlieren, den man dringend brauchte. Rache. Schlechtes Gewissen.
Mittags traf sich Anton mit Nagelschneider in München im Sushi Cent. Glock hatte auf dem Ort bestanden. Auf diese Weise konnten sie hier einen Kreis schließen, der mit Antons Verabredung mit Röckl genau an diesem Ort begonnen hatte. Der Fahrer wartete in Nagelschneiders riesiger BMW-Limousine vor dem Restaurant und würde seinen Chef danach zurück ins Firmengelände bringen. Nach der würzigen Misosuppe aßen sie zusammen eine große Platte Sushi und der CFO ließ einen Appell an seinen ehemaligen und zukünftigen Strategiechef vom Stapel:
»Wir müssen jetzt unverzüglich zur Tagesordnung übergehen, Herr Glock. Ich brauche Sie dringend in Ihrer Funktion als Strategiechef! Die angekündigten Wachstumsprogramme müssen schleunigst aufgesetzt werden. Sie bekommen völlig freie Hand von mir und können sich ins Projektteam holen, wen immer sie wollen .«
»Ehrlich gesagt reizt es mich ungemein, da weiterzumachen, wo ich aufgehört habe. Nur habe ich nicht die geringste Lust, Programme aufzusetzen, die dann in allen möglichen Abstimmungsrunden bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt werden. So wie letztens das Vertriebseffizienzprogramm durch die Länderchefs. Wenn Sie wirklich etwas mit den angekündigten Wachstumsprogrammen erreichen wollen, dann müssen wir sie Top down vorgeben. Verbindlich und ohne wenn und aber. Basisdemokratische Elemente sind meines Erachtens bei Unternehmensprogrammen fehl am Platze .« Mit energischen Rührbewegungen vermengte Anton Glock viel zuviel grünlichen Wasabi-Meerrettich mit Soja-Sauce.
»Versprochen: Sie werden nur mir selbst verantwortlich sein. Keine
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