Mademoiselle singt den Blues - mein Leben
Sängerin.« Ich singe mit Leib und Seele, wahrscheinlich merkt man das. Da muss ich natürlich jeden Gesangswettbewerb gewinnen, der sich bietet. Und es bieten sich viele, auf der Kirmes und bei Dorffesten. AuÃerdem gibt es die Kneipentournee mit Papa. Ich trainiere, indem ich auf die Stühle klettere und singe, und er wird mit Freibier belohnt. Wir beide sind ein gutes Team.
Bei den Gesangswettbewerben bin ich immer diejenige,
die am meisten auf den Sieg erpicht ist, ich lege mein ganzes Herz in mein Singen und bin derart engagiert, dass ich die Erwachsenen mit meinem Mut beeindrucke. Obwohl ich dünn bin wie ein Hering und sehr jung, singe ich wie eine füllige Frau mit viel Lebenserfahrung. Manchmal sehen die Leute zum Spaà hinter mir nach, als wollten sie sicher sein, dass da niemand anderes singt. Ganz gleich, welchen Preis es zu gewinnen gibt, Hauptsache, es ist der erste. Und das ist gut so, denn die Prämien entsprechen durchaus nicht immer den Hoffnungen. Oft ist eine Tüte Bonbons noch der beste Gewinn. Einmal haben sie mir auf dem Dorfplatz ein orangefarbenes Radio angedreht, das so klein ist, dass nicht mal Batterien reinpassen. Ich werde es nie benutzen.
Auf den Bällen hingegen kann ich nicht sicher sein, mit einer Trophäe, einer SüÃigkeit oder billigem Nippes, nach Hause zu kommen. Da singe ich zwei oder drei Lieder, aber eher spontan. Ich bin mit meinen Eltern da, und die Leute bitten mich zu singen, wie man um einen Gefallen bittet. Und dann singe ich. Vor allem in dem Bewusstsein, dass ich Papa und Maman Freude damit mache. Ich sehe Mamans strahlendes Lächeln und höre, wie Papa immer wieder voller Stolz sagt: »Das ist meine Tochter! Das ist meine Kleine!« Er sagt es mit Tränen in den Augen. Papa ist empfindsam, er ist leicht gerührt. Er weint, doch zwei Minuten später lacht er schallend über einen Witz, den er selbst gerissen hat. Nur eine Kleinigkeit stört mich: mein Kleid. Es passt mir, aber es gefällt mir nicht. Der hohe Kragen drückt mir ein bisschen auf die Kehle, und ich finde, ich sehe albern aus mit den üppigen Volants auf dem Oberteil und am Saum. AuÃerdem hat meine Schwester auch noch das gleiche Kleid, nur in einer anderen Farbe. Ihrs ist grün, meins ist blau. Ich habe Maman nichts
zu sagen gewagt, sie hat sie extra für die Hochzeiten meiner Brüder von einer Schneiderin nähen lassen.
Meine Majorettenuniform ist mir viel lieber. Ich trage einen weiÃen Rock und weiÃe Stiefel, eine grüne Jacke und einen passenden Hut. Obwohl ich mich ziemlich hübsch fühle in diesem Aufzug, bin ich vor allem wegen des Sports und der öffentlichen Auftritte zu den Majoretten gegangen. Ich mag das Turnen und den Stepptanz, der dazugehört. Ich brauche Bewegung, Muskeltraining, Sport.
Wie meine Schwester habe auch ich mich dem Pax-Korps, den Majoretten von Stiring-Wendel, angeschlossen. Sobald ein Ereignis ansteht, ganz gleich, ob es um Sport, Musik, Institutionen oder etwas anderes geht, müssen wir im Rhythmus der Trommeln mit unseren Metallstöckchen durch die StraÃen ziehen. Wir marschieren nicht nur im Takt. Wir führen sehr ausgefeilte Choreografien vor und machen richtige Tanzschritte. Das erfordert Körpereinsatz und Gelenkigkeit. Da ich zum Kapitän der Minis aufgerückt bin, muss ich meine Gruppe dirigieren, die Schritte und Richtungswechsel vorgeben, also gewissermaÃen die Partitur der Parade dirigieren. Manchmal singe ich auch in der Truppe, aber das kommt selten vor. Man muss mich nicht lange bitten, meine grüne Uniform anzuziehen und zu den Pax-Mädchen zu gehen. Selbst an Vormittagen, an denen die StraÃen eisig glatt sind und die Kälte mich trotz der Zeitungspapierschichten zu lähmen versucht. Auch wenn sie mein Lächeln gefrieren lässt und durch die dünne Strumpfhose beiÃt, bin ich ganz bei der Sache und stolz darauf, eine Pax-Majorette zu sein.
Ãbrigens werde ich auch als solche wahrgenommen. Wenn ich ein kleines Konzert gebe, steht jetzt auf den Plakaten: »Mit Paddy Pax.« »Paddy« kommt von »Pat«, der Kurzform von
Patricia. Als ich zum ersten Mal so ein Plakat sah, fand ich es schmeichelhaft, aber zugleich auch zum Totlachen. Ein Künstlername, aber was für einer!
Ansonsten stehe ich neben dem Namen der Gruppen, mit denen ich singe. Schon bald mache ich bei den kleinen Bands der Jungs aus unserem Viertel oder bei
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