Madonna, ein Blonder!
Amadeo«. Er schaut mich auffordernd an und wartet darauf, dass ich ihn bitte, endlich weiterzureden. Ich tue ihm den Gefallen. » Schieß los, Amadeo.«
Und er legt los: Als er vor 40 Jahren aus Bisceglie an der Adriaküste bei Bari nach München gekommen sei, habe er schwarze Haare gehabt. » Aare«, sagt er, » dunkelschwarze Aare.« Aber weil ja viele Deutsche ebenfalls schwarze Haare hätten, sei er immer für einen Münchner gehalten worden– zumindest solange er nicht den Mund aufmachte. Alles klar?
» Verstehst du, isch-e war-e keine fremd-e Körper-e, also optisch…, isch-e sah aus wie die anderen…, aber-e du…In Roma…?« Amadeo schaut erneut besorgt auf meine Haare.
Dann gibt er eine schicksalhafte Prophezeiung ab: » Mit dein-e blond-e Gemus-e bist-e fremd-e Körper-e in Roma.«
Uli schüttelt übertrieben energisch den Kopf, sagt: » Ach, Schmarrn!«, aber ihr Blick spricht eine andere Sprache: Amadeo könnte recht haben.
Könnte er?
Ich denke an das, was ich dem Chefredakteur meiner Zeitung so großspurig versprochen habe: mal gescheit über die Mafia zu recherchieren. Falls Amadeo richtigliegt mit seinen Warnungen, braucht ein Mafioso nicht einmal seinen Lötkolben auszupacken, um mich zu enttarnen. Er kann mich gleich als Spion in Säure auflösen, denn in Anbetracht meiner blonden Locken ist es schließlich völlig ausgeschlossen, dass ich einer aus der » Familie« bin.
Als Uli und ich ein paar Minuten später zahlen und aufbrechen, schaut mich Amadeo an wie ein besorgter Vater seinen 16-jährigen Sohn, der ankündigt, alleine durch Nordkorea trampen zu wollen.
» Viel-e Gluck-e!«
Dann winkt er zum Abschied.
Wir gehen. Glücklicherweise befindet sich vor dem » Mezzogiorno« ein Taxistand– Uli und ich wuchten den Fresskorb und mein Gepäck in den Kofferraum und fahren durch das erleuchtete München zum Bahnhof. Bis auf die Tatsache, dass wir Ende Mai, aber nur 13 Grad und Regen haben, ist es wunderschön. Angenehm harmlos. Ein Ort, wo sich blonde, rot- oder schwarzhaarige Menschen allein schon durch das Tragen von Lederhosen von einer Sekunde auf die andere integrieren können. So hatte ich das zuvor noch nie betrachtet.
Am Gleis 11 hieve ich Fresskorb, Koffer und Rucksack in den Zug.
» Pass auf dich auf!« Uli steht winkend draußen, und ich kann es kaum noch erwarten, nach Rom zu kommen.
Amadeos Warnungen sind schon fast vergessen.
Sind ja ohnehin völlig absurd.
Che cazzo! Erste Katastrophen
Ich wache auf, weil es warm geworden ist im Abteil. Es muss schon Morgen sein, denn durch den Vorhang dringt helles Sonnenlicht. Ich schiebe ihn ein Stück zur Seite und stoße einen erleichterten Seufzer aus. Genauso habe ich mir das vorgestellt: Kein Regen mehr! Vor meinen Augen breiten sich lichtdurchflutete Felder aus, dahinter kühler Wald auf sanften Hügeln, ab und zu eine Schlucht mit rauschendem Wasser und in der Ferne, auf den Spitzen der Hügel, immer ockerfarben leuchtende Dörfer. Und über allem eine frühe Morgensonne und ein blauer Himmel .
» Die Toskana«, seufze ich beseelt.
Ich schaue auf die Uhr: halb neun. Nein, durch die Toskana sind wir längst durch. Wir müssen schon im Latium sein. Rom ist nicht mehr fern. Mein Herz schlägt schneller.
Quietschend fährt der Zug eine Stunde später im Bahnhof Roma Termini ein und kommt ächzend zum Stehen. Ich verfrachte mein sperriges Gepäck– doofer Fresskorb!– zur Zugtür. Auf der letzten Stufe vor dem Bahnsteig bleibe ich stehen und versuche, der besonderen Situation entsprechend, irgendeinen bedeutenden Gedanken zu fassen.
Da werde ich abgelenkt.
Eine äußerst attraktive junge Frau mit halblangen schwarzen Haaren steht mit einem Schild » Reisegruppe Huber-Reisen« nur wenige Meter entfernt von mir auf dem Bahnsteig und sucht aufmerksam die Türen des Zuges ab, offenbar nach Teilnehmern ihrer Gruppe Ausschau haltend. Sehr hübsch sieht das aus– zumal ich stets dunkelhaarigen Frauen verfallen bin, seit ich mich als 13-Jähriger im Familienurlaub 1992 in die schwarzhaarige Tochter des Strandliegenvermieters verliebte. Wie hieß sie noch gleich? Ach ja, Giovanna! Was die jetzt wohl macht? Das wäre…
Autsch! Der Trolley einer nachrückenden amerikanischen Touristin trifft mich voll in die Kniekehle, und mit Koffer und Rucksack stolpere ich die letzte Stufe auf den Bahnsteig hinunter. Der Fresskorb fällt mir aus der Hand und kracht auf den Boden, der Maßkrug fliegt aus der raschelnden Umhüllung und landet
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