Mächtig gewaltig, Egon - Jensen, J: Mächtig gewaltig, Egon
sich auf, zog ein feines Hemd an und besuchte Eva im Krankenhaus.
»Ove kämpfte sich die Treppen zum ersten Stock hoch und sagte ganz erstaunt: ›Ich verstehe das nicht mit den Knien. Seit Eva ins Krankenhaus gekommen ist, tun sie weh.‹ Entweder war er schon sehr vergesslich geworden, denn mit den Knien hatte er schon jahrelang Probleme gehabt, oder Evas Anwesenheit zu Hause in Tømmerup machte es ihm leichter, sich die Schmerzen vom Leib zu halten«, erzählt Sven Sprogøe.
Ove setzte sich auf Evas Bettkante und war plötzlich wieder obenauf. Eva sollte nicht sehen, wie viel Schmerzen er hatte und dass er zu Hause nicht ohne sie zurechtkam. Er nahm ihre Hand, und sie lächelte: »Du hast so gute Hände!«
»Dann schien alles für kurze Zeit wieder in Ordnung zu sein«, sagt Sven.
Nach drei Wochen ging es Eva besser, und die Ärzte begannen von ihrer Entlassung zu sprechen. Aber Eva wollte nicht nach Hause. Sie konnte nicht mehr.
Im Sommer 2004 wurde das Haus in Tømmerup, Stationsvej 6, zum Verkauf ausgeschrieben. Der erste Makler schlug als Text für die Annonce in der Zeitung vor: »Wir haben einen Plan.« Weil das Haus doch so schnell und so teuer wie möglich verkauft werden sollte, entschuldigte er sich, aber Henning beauftragte einen anderen Makler. Am Schluss ging das Haus mit einem leichten Preisnachlass an eine kinderreiche Familie aus dem Stadtteil Dragør. Dort waren sie auch schon an Fluglärm gewöhnt.
Ove und Eva bekamen eine Wohnung im Pflegeheim im Løjtegaardsvej im Stadtteil Kastrup. Zwei Zimmer und eine winzige Küche. Sie waren jetzt 82 und 84 Jahre alt. Einige ihrer alten Sachen hatten die Kinder auf Evas Anweisung in die Wohnung gebracht. Ove verstand das alles nicht: »Was sagt ihr da? Können wir nicht mehr in unserem Haus bleiben? Das geht doch aber sehr gut … « Er war unfähig, praktische Entschlüsse zu fassen .
Ove wollte nicht ins Pflegeheim. Es ist für niemanden erstrebenswert, und es macht die Sache auch nicht besser, wenn man prominent ist. Henning erinnert sich noch genau an die ersten Minuten in der neuen Umgebung: »Vater war überhaupt nicht dafür, schon als wir reinfuhren, obwohl er vorsichtig lächelte und dem Personal zuwinkte. Dann bemerkten sie ihre alte Einrichtung von zu Hause, und sie freuten sich.«
Doch schon nach wenigen Tagen schien es, als würde Eva aufgeben. Sie lag die meiste Zeit im Bett und entrückte immer mehr.
»Mutter hatte sich viel zu lange mit dem ganzen Haushalt verausgabt«, sagt Henning. »Und nun war es, als würde sie zusammenbrechen, nachdem die Last von ihr genommen war. In ihrem Ehrgeiz, alles in Tømmerup am Laufen zu halten, hatten sie beide einander am Leben erhalten. Nun blendete sie sich langsam aus.«
Die Familie war fast täglich im Pflegeheim. Eva war ganz dünn geworden und wirkte fahl. Ove hielt sich hauptsächlich im anderen Zimmer auf. Er spürte, was geschah. Freitag, den 20. August, genau zur Mittagsstunde, wurde die Zeit zwischen den Atemzügen immer länger, die Familie versammelte sich und hielt Evas Hand. Es war Zeit, Lebewohl zu sagen. »Ach ja, ist es soweit?«, sagte Ove nur, als sie ihn herüberbaten. Aber er ging nicht mit. Evas Atemzüge wurden langsamer und anstrengender. Die Grenze zwischen Leben und Tod war förmlich zu hören. Ihren letzten Atemzug machte sie im Kreise ihrer ganzen Familie. Zu dem Zeitpunkt waren Ove und Eva 63 Jahre zusammen. In sieben Monaten hätten sie Diamantene Hochzeit feiern können.
Etwas später wurde Ove hineingerufen, um von Eva Abschied zu nehmen. Er kämpfte sich aus seinem Rollstuhl hoch, ging ins andere Zimmer und stellte sich ans Fußende ihres Bettes. Es bereitete ihm Mühe. Nach einer Weile sagte er: »Darauf hätte ich verzichten können.« Dann ging er und setzte sich wieder ins andere Zimmer. Hennings Frau Anne betete für Eva und Ove. Das hatte sie Eva versprochen. »Dann können wir leichter gehen«, hatte Eva gesagt. Danach sang die Familie zwei Psalmen. »Sei ohne Sorge, wenn du gehst« und »Es schließen sich nun meine Augen«. Ove sang nicht mit.
Nach Evas Tod kam Oves Leben zum Stillstand. Er hatte sich nie vorstellen können, dass er ohne Eva und ihre allgegenwärtige Liebe allein zurückgelassen werden könnte. Er wurde immer schwächer, und außer langen Seufzern sagte er nicht viel mehr. »Ach ja!«, und immer wieder: »Ach ja!« Die drei Brüder machten sich Sorgen um ihren Vater und wollten mit ihm über Evas Tod reden. Sie zeigten ihm Bilder von
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