Maechtig, mutig und genial
dass die Frauen ab 1929 in Ecuador und ab 1932 in Uruguay und Brasilien das aktive und passive Wahlrecht erhielten, früher als manche europäische Frau. Doch selbst wenn dies, wie in Mexiko, erst 1953 bzw. 1958 (passives Wahlrecht) gewährt wurde, so konnte doch bereits 1925 Elvia Carrillo in einem der fortschrittlicheren mexikanischen Bundesstaaten für einen Sitz im nationalen Parlament kandidieren und wurde sogar gewählt, dann allerdings im Kongress nicht zugelassen.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfügten schließlich alle Lateinamerikanerinnen über volle politische Rechte, und einzelne Frauen stiegen rasch in die Zentren der Macht auf. Bevor mit Margaret Thatcher 1979 erstmals eine Europäerin in das höchste politische Amt, in diesem Fall dasjenige der Premierministerin von Großbritannien, gewählt wurde, war Argentinien bereits zwei Jahre lang von einer Frau regiert worden, von María Estela (Isabel) Martínez de Perón. Allerdings war Isabel Perón nur zu diesem Amt gekommen, weil der Präsident, ihr Mann Juan Domingo Perón, verstorben war und sie laut Verfassung als Vizepräsidentin seine Amtsperiode zu Ende zu führen hatte. Dennoch: Die Argentinier hatten sie zur Vizepräsidentin gewählt, wenn auch nur im Gefolge ihres Mannes und weil sie hofften, in ihr eine zweite Evita zu finden. Evita Perón, 1952 verstorben, hatte nie ein offizielles Amt innegehabt, aber sie war trotzdem eine mächtige Frau – allerdings nur, weil sie, wie einst Malinche oder Inés Suárez, am Projekt ihres Mannes teilhatte. Nicht sie selbst entschied darüber, ob sie für das Vizepräsidentenamt kandidieren sollte oder nicht, sondern ihr Mann. Sowohl Evita als auch Isabel Perón haben nie ihre Rolle als Ehefrau, die dem Mann folgt, in Frage gestellt.
Ganz anders Lydia Gueiler Tejada. Kaum war in Europa Margaret Thatcher im Amt, übernahm sie in Bolivien die Staatsgeschäfte. Sie war seit Beginn der 1940er Jahre politisch aktiv und Parlamentspräsidentin, sprich: eine vom Volk gewählte Abgeordnete, als der Kongress sie zur Interimspräsidentin wählte. Lydia Gueiler war damit die erste Frau des Kontinents, die nicht im Schatten oder in Begleitung eines Mannes politische Bedeutung erlangte, sondern kraft eigener Anstrengung Parlamentsabgeordnete und schließlich Präsidentin wurde.
Die Nicaraguanerin Violeta Barrios de Chamorro hingegen war noch politische Erbin ihres Mannes, auch wenn sie Lateinamerikas erste direkt gewählte Präsidentin war. Zu Lebzeitenvon Pedro Joaquín Chamorro wäre sie nie auf die Idee gekommen, sich politisch einzumischen, hatte sie sich doch immer als Hausfrau und Frau an seiner Seite verstanden. Doch nach seiner Ermordung beschloss sie, sein politisches Lebenswerk fortzusetzen. Niemand hatte ihr zugetraut, dass sie es schaffen würde, ein von Jahren des Bürgerkrieges zerrüttetes Land zu regieren, doch am Ende ihrer Amtszeit hinterließ sie geordnete Verhältnisse. Wie Violeta Chamorro trat auch Mireya Moscoso das Erbe ihres Mannes Arnulfo Arias an, der dreimal Präsident von Panama war. Nach dessen Tod kandidierte die einstige Dekorateurin zweimal für dessen Arnulfistische Partei
(Partido Arnulfista)
für das höchste Staatsamt, 1994 noch vergeblich, doch 1999 schaffte sie den Sprung in den Präsidentenpalast. Ihre Regierung galt als besonders korrupt, und wenige Tage vor Ende ihrer Amtszeit beschwor sie zudem noch einen internationalen Skandal herauf, als sie auf US-amerikanischen Druck vier Exilkubaner amnestierte, die versucht hatten, Fidel Castro zu ermorden, während dieser sich zu einem Gipfeltreffen in Venezuela aufhielt.
DIE POLITIKERINNEN DES 21. JAHRHUNDERTS
Die Frauen, denen nach Mireya Moscoso in Lateinamerika die Präsidentenschärpe umgelegt wurde, vertreten ihr eigenes politisches Projekt. Zwar folgte die Argentinierin Cristina Fernández de Kirchner ihrem Mann Néstor Kirchner im Amt, und er war bis zu seinem Tod ihr engster Berater, doch Cristina Fernández war bereits als Studentin in der peronistischen Bewegung aktiv gewesen und konnte auf mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung als Abgeordnete und Senatorin zurückblicken, als sie zum ersten Mal für das Präsidentenamt kandidierte. Auch wenn die Kirchners sich für Werbezwecke gern mit Perón und Evita verglichen sahen, so repräsentierten sie doch ein gewandeltes Verständnis von der Ehe: Sie waren privatund politisch gleichberechtigte Partner mit einem gemeinsamen Projekt.
Die Kinderärztin Michelle Bachelet,
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