Mädchen im Schnee
sein, wie du willst«, warf Bengt ein und zwinkerte ihr zu.
Magdalena lachte und merkte, wie sie sich allmählich entspannte.
Gunvor reichte ihr das Schälchen mit Gelee, und Magdalena tat sich etwas davon auf ihren Teller.
»Und dass du dann auch noch eine Arbeit hier gefunden hast, eine richtige Arbeit«, sagte Gunvor. »Das ist heutzutage so schwer für die jungen Leute. Die meisten müssen wohl oder übel wegziehen.«
»Den Politikern ist es völlig egal, dass halb Schweden entvölkert wird«, fuhr Bengt fort. »Sollen wir vielleicht alle in Stockholm leben? Das kann ja wohl nicht der Sinn der Sache sein!«
Magdalena wurde klar, dass dieses Gesprächsthema hier genauso oft an der Tagesordnung war wie zu Hause bei Papa und Kerstin.
»Ja, das ist traurig«, antwortete sie. »Aber Christer wohnt doch noch hier, oder?«
Gunvor nickte.
»Ja. Er hat das Glück gehabt, gleich nach der Polizeiakademie hier eine feste Anstellung auf dem Revier zu bekommen.«
Magdalena betrachtete die Schulfotos von Tina und Christer, die schräg übereinander neben dem Fenster hingen. Tina mit gefärbten und sorgfältig hochtoupierten Haaren und Christer mit hellen Bartstoppeln und runden Backen.
»Hier in Hagfors wird jede zweite Nacht in irgendeinem Laden eingebrochen, und die Geschäftsleute macht es wahnsinnig, wenn die Polizei da nichts ausrichtet«, sagte Bengt und zeigte mit der Gabel auf Magdalena. »Darüber wirst du schreiben dürfen, Magda.«
Magdalena verspürte wenig Lust, über den neuen Alltag oder über sich selbst zu reden. »Ist Tina denn noch in Göteborg?«, fragte sie.
»Ja, sie wohnt jetzt seit neun Jahren dort«, erwiderte Gunvor. »Ihr kleiner Xerxes ist gerade ein Jahr alt geworden. Aber du hast doch auch einen kleinen Jungen, oder? Ich habe das Taufbild in der Zeitung gesehen, das ist aber schon ein paar Jahre her. Auf jeden Fall war er süß wie eine Puppe.«
Magdalena schluckte und nahm Anlauf.
»Er heißt Nils. Im Sommer ist er sechs Jahre alt geworden. Im Grunde bin ich auch seinetwegen wieder nach Hause gezogen. Ich will, dass er in einer ruhigeren Umgebung aufwächst, aber manchmal habe ich das Gefühl, das ist ein bisschen …«
Eigentlich hatte sie »naiv« sagen wollen, aber irgendwie fühlte sich das falsch an. Stattdessen sagte sie:
»Ja, vielleicht habe ich das nicht so richtig durchdacht.«
»Du machst genau das Richtige«, sagte Bengt und verlieh seinen Worten durch mehrere Handkantenschläge durch die Luft Nachdruck. »Genau. Das. Richtige. Selbstverständlich soll der Junge nicht mit Autoverkehr, Abgasen und Kriminalität aufwachsen. Hier kennt sich jeder. Hier passieren keine hässlichen Sachen.«
Gunvor drehte ihr Glas in der Hand, als würde sie über etwas nachdenken. Dann blickte sie auf.
»Ist er heute Abend bei seinem Papa?«
Magdalena musste wieder schlucken.
»Er sitzt im Flugzeug, auf dem Heimweg nach Schweden. Sie waren über Weihnachten in Indien, und ich habe seit Heiligabend nicht mit ihm gesprochen.« Verdammte Scheiße . Magdalena versuchte, die Tränen wegzublinzeln. »Das ist ein wenig – anstrengend. All das. Mit der Scheidung und so. Entschuldigt bitte.«
Sie faltete ihre Serviette zu einem Päckchen zusammen und drückte es sich an die Wimpern.
Bengt legte das Besteck auf dem Teller zusammen und sah auf seine Armbanduhr.
»Ich glaube, jetzt fängt ›Dinner for One‹ an«, sagte er und erhob sich.
»Und ich setze Kaffee auf«, sagte Gunvor und stellte die Teller zusammen. »Du trinkst doch Kaffee, Magda?«
Magdalena nickte und brachte ein Lächeln zustande.
»Ach, du«, sagte Gunvor und tätschelte ihre Hand, »das wird schon alles in Ordnung kommen – du wirst schon sehen.«
Als Magdalena allein am Tisch zurückblieb, legte sie die Stirn in die Hände.
Vielleicht, dachte sie. Vielleicht wird es das.
Ernst Losjö ließ sich mit dem Whiskyglas in der Hand auf dem Sofa nieder. Er seufzte tief und zog den Schlipsknoten mit dem Zeigefinger auf. Endlich war das Spektakel vorbei.
Gabriella stand am Fenster, die Arme um den Oberkörper geschlungen. Die Festfrisur war in sich zusammengesunken, und eine lange Haarsträhne hing ihr über die eine Schulter.
Obwohl es schon fast vier Uhr morgens war, regneten immer noch einzelne Feuerwerksraketen über den See nie der. Sjökvists hatten offensichtlich groß zugeschlagen.
Ernst musste daran denken, wie viele angeschossene, unterkühlte Silvesterfeierer im Laufe der Nacht in die Notaufnahme von Torsby
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