Mädchen im Schnee
Er musste nur den Kofferraum aufmachen, das Seil um ihre schmalen Handgelenke binden und auf die Hütte zeigen, schon ging sie den Hügel hinauf. Kein Protest. Kein Weinen.
Wahrscheinlich hatte sie schon aufgegeben. Oder sie konnte nicht mehr schreien.
Die Dämmerung fiel schnell. Der See, den man, daran erinnerte er sich, vom Schuppen aus zwischen den Birken durchschimmern sah, warnicht mehr zu sehen, doch hörte er die Scooter draußen auf dem Eis. Mindestens zwei mussten es sein, die da kreuz und quer über den See fuhren. Damit hatte er nicht gerechnet.
Kleine Schneeflocken landeten auf ihrem Pferdeschwanz, und er merkte, dass es ihr schwerfiel, mit den hinter dem Rücken gefesselten Händen das Gleichgewicht zu halten. Obwohl sie so mager war, brach sie mehrmals im Schnee ein, aber sie sagte nichts, sondern stöhnte nur leise.
Einmal wandte sie den Kopf und suchte seinen Blick, doch er brachte es nicht über sich, ihr zu helfen. Stattdessen stieß er sie vorwärts. Er musste das zu Ende bringen, ehe jemand kam.
Obwohl es so kalt war, dass ihm der Atem weiß und dick vor dem Gesicht stand, spürte er den Schweiß in seinen Achselhöhlen und sah sich immer wieder um, obwohl er dadurch auch selbst fast das Gleichgewicht verlor.
Wie soll ich das schaffen?
Ein paar Meter vor der Hausecke sank sie erneut ein, diesmal bis an die Oberschenkel. Da holte er die Pistole heraus. Seine Hände zitterten, als er den dicken Fäustling abzog und zielte.
Ein Knall.
Sie fiel nach vorn, landete mit dem Gesicht nach unten im Neuschnee und blieb ganz still liegen. Nur ein seltsames Gurgeln kam aus ihrem Mund.
Um nicht sehen zu müssen, wie das Blut stoßweise aus ihrem Hinterkopf quoll, ging er mit großen Schritten durch den Schnee zum Auto zurück.
Jetzt nur keine Panik!
Als er den Spaten aus dem Kofferraum nahm, zitterte er, als hätte er Schüttelfrost. Unter seinem Pullover war er klebrig verschwitzt.
Nachdem ihm klar geworden war, was er tun musste, hatte er lange darüber nachgedacht, wo er die Leiche verstecken sollte. Die beste Lösung, die ihm einfiel, war, sie zunächst an einem sicheren Ort zu verstecken und sie dann, wenn der Boden nicht mehr gefroren war, im Wald zu vergraben. In der Nacht war ihm das völlig logisch vorgekommen – jetzt nicht mehr. Wie sollte er es schaffen, noch einmal hierherzukommen, da reinzugehen und …?
Aber es gab keine andere Möglichkeit mehr. Das Mädchen war bereits tot.
Die Schneedecke vor dem Erdkeller am Waldrand war dicker, als sie zunächst ausgesehen hatte, und es dauerte viel länger als geplant, die Tür freizuschaufeln. Als er endlich damit fertig war, lag der Neuschnee wie eine dünne Puderschicht auf dem kleinen Körper am Haus.
Er lehnte den Spaten sorgfältig ans Haus, schlug den dicken Haken los und zog die Tür auf. Dann schlich er zu ihr hin, ganz vorsichtig, als könnte sie sich plötzlich aufsetzen und ihn ansehen.
Ihre Beine waren im Schnee festgefroren, und er fing an, mit den Händen an den Oberschenkeln entlang zu graben. Die Schneekante scheuerte an seinen Handgelenken, und ihm fiel ein, wie sie als Kinder Iglus gebaut hatten. Als das Loch groß genug zu sein schien, packte er sie unter den Achseln und zog sie hoch. Das Blut, dick und schwarz, war bereits in ihrem Haar festgefroren, und ihr rechtes Auge starrte an ihm vorbei in die Bäume.
Als er die Tote aus dem Loch gehievt hatte, fing er an, sie auszuziehen. Die Kleidungsstücke legte er hinter sich auf einen Haufen. Sie war zu mager, dachte er. Unter den runden Jungmädchenbrüsten konnte man deutlich die Rippen erkennen.
Während er die schwarzen Müllsäcke und die lange Plastikschnur rausholte, hörte er die Scooter immer näher kommen.
Verdammt!
Ohne nachzudenken, packte er die dünnen Handgelenke und schleifte das Mädchen in den Keller. Da drinnen roch es nach Kühle und Erde. Als Kind hatte er sich nie hineingewagt, weil er schreckliche Angst vor Spinnen hatte. Der Boden war sauber gefegt, und an der einen Wand stand ein niedriges Regal, das bis auf zwei vergessene Krabbendosen leer war.
Er zog die Leiche so weit wie möglich ins Dunkel und beeilte sich dann, in der Hocke durch die Tür zu kommen. Er musste hier weg.
Die Scooter wurden immer lauter, jetzt mussten sie direkt am Ufer sein. Er dachte an das Blut im Schnee und an das Auto, das er unten auf dem Weg abgestellt hatte.
Unter der Kellertür hatten sich Schnee- und Eisklumpen verkeilt, sodass sie nicht mehr zuging.
Leise
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