Maedchenauge
der weise Mann in Rom? Da würden Sie mir aber ziemlich auf die Nerven gehen, wenn Sie ständig und jedes Mal recht hätten.«
Kurz musste Lily lachen. »Danke, Herr Major. Das war jetzt … wirklich nett.«
»Und wenn wir schon dabei sind … Ich muss Ihnen auch einen schweren Fehler gestehen. Ich habe mir noch einmal den Bericht von der Hausdurchsuchung am Linnéplatz vorgenommen. Lavinias Zimmer ist leider nur oberflächlich kontrolliert worden. Sie hat damals einen kleinen Nervenzusammenbruch erlitten und sich auf ihr Bett gelegt. Niemand hat sich getraut, sie zu stören.«
»Ja, Herr Major, wer hätte damals schon vermutet … Überlegen wir also … Lavinia hat das richtige Aussehen und Gaby Koch das Wissen über die Kleidung des Täters … Entweder hat eine von der anderen bewusst profitiert … oder aber … beide zusammen? Im Duo?«
Belonoz breitete seine Arme aus. »Entscheiden Sie, wie wir jetzt vorgehen.«
Lily benötigte bloß eine Sekunde. »Wir holen beide sofort zur Einvernahme. Hausdurchsuchung inklusive.«
Eine halbe Stunde später platzte Metka in Belonoz’ Büro. Sie war aufgeregt und ihre Stimme lauter als üblich. »Das darf einfach nicht wahr sein. Wir können sie nicht finden. Als wären Gaby Koch und Lavinia vom Erdboden verschluckt.«
35
Marlene Metka hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Lavinia Saborsky und Gaby Koch schienen sich in Luft aufgelöst zu haben.
Ihnen durch die Position ihrer Handys auf die Spur zu kommen, war unmöglich. Entweder hatten beide nahezu gleichzeitig ihre Telefone kurz nach vierzehn Uhr deaktiviert. Oder sie befanden sich seit diesem Zeitpunkt an einem Ort, der keine Verbindung zum nächsten Sender zuließ.
Zumal das Verschwinden von Gaby Koch barg etliche Rätsel und Herausforderungen. Lily benötigte Informationen aus der Redaktion von Clip24 . Zugleich musste sie verhindern, dass zu viele Leute Wind von der Sache bekamen. Somit blieb ihr keine Wahl, auch wenn sie diesen Weg verabscheute.
Sie musste Sasha Bonino kontaktieren. Deren Sekretärin gab an, dass sich die Herausgeberin nicht mehr in ihrem Büro aufhalte. Jedoch versprach sie einen baldigen Rückruf.
Zehn Minuten später läutete Lilys Handy. Und sie schwor sich, höflich zu bleiben, egal, wie das Gespräch verlaufen würden. Im Moment gab es Wichtigeres als die offenen Rechnungen der Vergangenheit.
»Frau Horn, man hat mir mitgeteilt, dass Sie mit mir sprechen möchten«, sagte Bonino in dem gestelzt und distanziert wirkenden Tonfall, den sie Fremden gegenüber pflegte.
»Danke für das Material, das Sie mir zu Gaby Koch geschickt haben. Das war sehr hilfreich. Ich brauche jetzt noch etwas. Es geht wieder um Gaby Koch …«
Bonino verlor keine Zeit. »Frau Koch hat ihren Arbeitsplatz heute Mittag verlassen und ist bis jetzt nicht zurückgekehrt. Außerdem ist sie nicht erreichbar. Das ist ein unannehmbares Verhalten für eine Ressortchefin. Wenn nicht etwa ein gravierendes gesundheitliches Problem dafür verantwortlich ist, sollte sich Frau Koch in meinem Haus besser nie wieder blicken lassen. Jedenfalls habe ich ihre Stelle bereits neu besetzt und ihre persönlichen Sachen unserem Portier übergeben lassen.«
Die emotionale Kälte dieser Frau begreifend, entschloss sich Lily zu einer klaren Ansage. »Möglicherweise stehen Menschenleben auf dem Spiel. Ich muss darum detailliert wissen, was Gaby Koch in der Redaktion bis zu ihrem Verschwinden getan hat. Können Sie mir diese Informationen inoffiziell beschaffen? Oder muss ich die Bürgermeisterin anfragen lassen?«
Nach einer Sekunde absoluter Stille antwortete Bonino: »Selbstverständlich kann ich Ihnen das besorgen. Ich rufe Sie sofort zurück. Bis dann.«
Und die Frau aus Eis hielt Wort.
Bloß zwanzig Minuten dauerte es, bis Bonino das Geschehen trocken, aber informativ referierte. »Am Morgen ist Frau Koch wie üblich an ihrem Arbeitsplatz erschienen, sie hat die Redaktionskonferenz mitgemacht und Vorschläge für Artikel geliefert. Sie hat vorgehabt, erneut die Verhaftung von Tom und Nicole zu thematisieren. Und sie hat Hintergrundinformationen angekündigt. Ich habe ihr gesagt, dass sie sich in Hinkunft mehr auf die Fakten konzentrieren soll. Übertriebene Spekulationen können wir in Wien derzeit nicht brauchen. Ich kann mir vorstellen, Frau Doktor Horn, dass dies auch in Ihrem Sinn war.«
»Durchaus«, sagte Lily. Sie staunte über Boninos Wendigkeit, sich so locker mit veränderten Gegebenheiten abzufinden.
»Bis
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