Maedchenauge
jemals erklärt, warum sie nicht mehr …?«
»Nein. Sie hat nur behauptet, keine Lust mehr zu haben. Na ja, sie war dann in der Pubertät …«
Verständnisvoll nickte Lily. »Ja, eine schwierige Zeit. Da ist man derart labil, dass man leicht durcheinandergebracht werden kann, wenn man dem falschen Menschen begegnet. Aber jetzt zu diesem Foto …«
Petra Back stand sofort auf. »Das habe ich hier.«
Sie ging zu ihrem Schreibtisch, wo sie aus einer Schublade ein metallen gerahmtes Foto nahm. »Ich kann das Bild derzeit nicht sehen. Es erinnert mich zu sehr an schönere Zeiten.«
Sie legte das Foto auf den Tisch. Lily und Bardel beugten sich sofort darüber.
Das Bild zeigte die dicht aneinandergedrängten, fröhlich lächelnden Gesichter dreier junger Mädchen, die an der Schwelle zum Erwachsenwerden standen, jedoch noch Spuren von Kindlichkeit aufwiesen.
Lily und Nika Bardel schauten einander an.
Beide hatten die drei Mädchen erkannt. In den zehn Jahren, die sie bis zu ihrer Ermordung noch hatten leben dürfen, waren wesentliche Charakteristika der Gesichter nahezu unverändert geblieben.
»Wissen Sie, wer die zwei anderen Mädchen sind?«, fragte Lily.
»Nein, ich weiß nur, dass sich Lisa sehr gut mit ihnen verstanden hat. Es war noch ein viertes Mädchen dabei, das dieses Bild aufgenommen hat.«
»An Namen können Sie sich nicht erinnern?«
»Nein, dazu ist das zu lange her.«
»Schade«, sagte Lily und lächelte Back an.
Die hielt plötzlich inne, als ob ihr etwas einfiele.
Sie nahm das Foto aus dem Rahmen, drehte es um und zeigte Lily die Rückseite.
Dort war zu lesen: Zur Erinnerung an die Zeit in Klausen, als es uns noch gut ging. Bussi, Carla-Sophie.
Backs Miene wurde lockerer, ihre strengen Mundwinkel entspannten sich etwas. »Jetzt erinnere ich mich … Ja, sie hat Carla-Sophie geheißen, Lisa hat den Namen erwähnt. Sie hat das Foto gemacht und nach dem Sommercamp an die drei anderen Mädchen geschickt. Und ich weiß auch, dass die vier später noch Kontakt hatten. Eine Zeit lang haben sie einander Briefe und Karten geschrieben. Aber irgendwann hat das aufgehört … Sommerbekanntschaften halten eben nur selten lange.«
»Wissen Sie zufällig, was mit als es uns noch gut ging gemeint war?«, fragte Nika Bardel.
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich hat sie ausdrücken wollen, dass es damals in Klausen so schön war und diese Zeit leider vorbei ist.«
»Darf ich Sie bitten, uns das Foto zu überlassen?«, sagte Lily. »Ich garantiere Ihnen, dass Sie es unversehrt zurückerhalten.«
»Natürlich, kein Problem. Momentan will ich es ohnehin nicht sehen. Obwohl es ein schönes Bild ist. So unschuldig …«
Lily erhob sich langsam. »Gut, das wäre es für den Moment.«
Plötzlich wirkte Back sehr bestimmt. Sie stand ebenfalls auf. »Sie schulden mir noch eine Erklärung. Nämlich, warum Sie diese Fragen stellen und wozu ich Polizeischutz benötige.«
»Sie haben recht, die schulde ich Ihnen«, sagte Lily ernst. »Aber ich möchte diese Schuld jetzt nicht einlösen. Bitte vertrauen Sie mir einfach. Je weniger Sie im Moment wissen, desto besser für Sie und für uns alle. Leben Sie allein in dieser Wohnung?«
Petra Back schüttelte abfällig den Kopf. »Meinen Freund habe ich vor der Reise in die Wüste geschickt. Es hat nicht mehr gepasst. Kennen Sie das?«
»Ich glaube, dass ich das sogar sehr gut kenne«, sagte Lily. »Nur aus einer anderen Perspektive.«
Sie reichte Petra Back die Hand.
Auf der Fahrt zurück in die Kriminaldirektion schwiegen Lily und Bardel zunächst. Da läutete Lilys Handy. Descho war am Apparat. »Zach hat offenbar nach Wien reisen wollen. Für den kommenden Montag hatte er ein Flug von Salzburg nach Wien gebucht.«
»Nur der Hinflug war gebucht? Kein Rückflug?«
»So ist es, Frau Doktor. Außerdem haben wir im Pfarrhaus einen Ausdruck mit der Adresse der Wiener Staatsanwaltschaft gefunden. Und einen Stadtplan, auf dem die Staatsanwaltschaft markiert war.«
*
Belonoz hatte keinen Zweifel. »Er hat etwas gewusst oder vermutet. Und deshalb wollte er nach Wien kommen. Einfach zu blöd. Das hätte ihm eine Woche früher einfallen sollen.«
Kovacs schnitt eine bedauernde Grimasse. »Wer zu spät kommt, den bestraft das …«
»… den bestraft der Tod«, unterbrach ihn Belonoz mit sarkastischem Lächeln. »So geht der Spruch. Oder bist du anderer Meinung, Emil?«
Sein Verhalten hatte sich seit dem Morgen nicht verändert, was Lily zunehmend beunruhigte. Zugleich
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