Maedchenauge
ich nirgendwo in den Akten gelesen. Ist sie nicht befragt worden?«
»Eben nicht. Sie war auf einer zweimonatigen Reise durch Südamerika. Am vergangenen Samstag ist sie nach Wien zurückgekehrt und jetzt …«
»Frau Bardel, rufen Sie Petra Back auf der Stelle an. Sagen Sie ihr, dass sie sich umgehend in die nächste Polizeiinspektion oder an einen anderen sicheren Ort begeben soll. Ich komme hin und spreche mit ihr. Wir brauchen außerdem Polizeischutz für sie.«
»Alles schon arrangiert«, sagte Belonoz so ruhig, als hätte er Lilys innere Aufgewühltheit bemerkt. »Ich habe Nika vorher entsprechende Instruktionen gegeben.«
»Herr Major, Sie sind der Beste. Ich fahre zu ihr. Sie kommen mit, Frau Bardel.«
Belonoz nickte lächelnd. »Wir halten inzwischen die Stellung und nehmen die Verbindungen zwischen Gaby Koch, Selma Jordis und Lavinia Saborsky noch genauer unter die Lupe.«
Sie sah ihn an und wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. »Perfekt. Wir sind zwar noch unterwegs. Aber ich glaube, den Nebel haben wir hinter uns gelassen.«
*
Ihr dunkles Haar hatte Petra Back nach hinten gebunden. Die Bräune ihrer Haut wurde von der weißen Leinenbluse kontrastiert. Aufrecht saß sie in ihrem Wohnzimmer an einem runden Esstisch. Sie wirkte klug und gefasst, beinahe etwas unterkühlt. Die Hände ruhten in ihrem Schoß.
Ihr gegenüber hatten Lily und Nika Bardel Platz genommen. Gemeinsam waren sie von einer Polizeiinspektion in der Boltzmanngasse zu Backs Zweizimmerwohnung in der Margaretenstraße gefahren. Vom neunten in den fünften Bezirk. Begleitet hatte sie die stämmige junge Kriminalbeamtin, die mit Backs Schutz beauftragt worden war.
Petra Back saß vor einer Tasse Tee und erzählte. »Für mich war es ein Schock, von Lisas Tod zu erfahren. Die Tour durch Lateinamerika war so überwältigend. Durch die Nachricht von Lisas Tod ist alles kaputtgegangen. Ich habe nur noch zurück nach Wien gewollt. Aber die Forschungsreise war mit den Kollegen vom Institut organisiert. Deswegen habe ich nicht einfach aussteigen können.«
»Was für ein Institut?«, fragte Lily.
»Das Institut für Ethnologie der Universität Wien. Ich bin dort Assistentin.«
»Andererseits ist es vielleicht besser so, dass Sie nicht in Wien waren. Ihr Wissen hätte unter Umständen gefährlich für Sie sein können.«
Back blieb gelassen, aber sie sah Lily interessiert an. »Geht es darum? Ich meine … ist meine Schwester nur deshalb getötet worden, weil … sie zu viel gewusst hat?«
»Unter Umständen.«
»Also kein zufälliger Mörder, der sich das nächstbeste Opfer geschnappt hat?«
»Ich glaube nicht … Aber bitte erzählen Sie mir, was Sie über das Sommercamp wissen. Es kann sein, dass es noch einen Menschen gibt, der dringend beschützt werden muss.«
»Das Camp hat im August vor zehn Jahren stattgefunden. Meine Schwester war dreizehn und sie hat unbedingt daran teilnehmen wollen. Unsere Eltern hatten nichts dagegen, schließlich ist alles von katholischen Organisationen betreut worden. Orgien oder Besäufnisse waren also nicht zu erwarten.«
»Wie lange hat das Camp gedauert?«
»Ich glaube, ungefähr zehn Tage oder zwei Wochen … ja, genau zwei Wochen.«
»Erinnern Sie sich, ob Ihnen Lisa verändert vorgekommen ist, als sie wieder in Wien war?«
Petra Back schaute Lily plötzlich intensiv an. Als wäre sie von einer Erinnerung überfallen worden, der sie im Licht der jüngsten Ereignisse eine andere Bedeutung zumaß. »Komisch, dass Sie das sagen … so war es nämlich wirklich. Lisa war viel ruhiger und zurückhaltender. Ich habe sie einmal danach gefragt. Sie hat mir geantwortet, dass sie vom Papst und dessen Ausstrahlung so beeindruckt gewesen sei.«
»Hat sie Ihnen sonst noch etwas über das Camp erzählt?«
»Eigentlich nicht sehr viel. Warum?«
»Nur so eine Frage …«
»Ich vermute aber, dass Lisa das Camp selbst nicht so toll gefunden hat. Jedenfalls hat sie sich später geweigert, bei anderen Ferienlagern mitzumachen. Auch bei Schulreisen war es immer schwierig, sie zur Teilnahme zu überreden. Sie hat gesagt, dass sie es nicht mag, so lange auf engstem Raum mit Leuten zusammen zu sein, die sie nicht gut kennt. Und … mir fällt jetzt auch noch ein, dass Lisa nur noch wenig Lust gehabt hat, in der Pfarre mitzuarbeiten. Bis dahin war sie dort sogar Ministrantin gewesen.«
»Aha«, sagte Lily leise und warf einen raschen Seitenblick auf Bardel, die wiederum sie ansah. »Hat Ihre Schwester
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