Mein Leben in 80 B
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1. Kapitel
«Was meint ihr? Ist das sexy, oder ist das sexy?»
Sylvia hielt sich einen Seidenbody in Pink mit applizierten zart rosafarbenen Blumen von meinem mitgebrachten Kleiderständer an ihren mageren, fast schon unterernährten Oberkörper, der nur in einem schwarzen, tief ausgeschnittenen Satintop mit passendem Slip steckte. Sie drehte sich vor dem aufgestellten Spiegel hin und her.
«Doch, doch», nickte ich und gab mich begeistert. Ich stellte mich näher zur Gastgeberin der heutigen Dessous-Party. «Das ist wirklich ein tolles Teil, wunderbare Qualität, da hast du dir gleich genau das Richtige herausgegriffen. Gibt’s übrigens auch in Braun und in Blau. Und durch die wattierten Körbchen und die eingearbeiteten Bügel formt und hebt der BH die Brüste und lässt sie glatt eine Nummer größer aussehen.»
Sylvia hob die Augenbrauen und bekam einen starren Blick, und ihre Freundinnen hielten erschrocken mit der Besichtigung der Unterwäsche inne.
«Nicht, dass du es nötig hättest, aber dieser Body macht ein wahnsinnig aufregendes Dekolleté», ergänzte ich deshalb lieber schnell.
Das reichte aus, um das debile Lächeln auf Sylvias Züge zurückzuzaubern. Ich versuchte, nicht zu sehr auf ihre aufgepumpten Brüste zu starren, die mich irgendwie an halbe Kokosnüsse erinnerten. In der Schule hatten wir Mrs. Super-Bubu « BMW » genannt, Brett-mit-Warzen, weil sie noch weniger Oberweite hatte als der dicke Sven. Dieser Ungerechtigkeit der Natur war sie mit dem Geld ihres Mannes aber kurz nach der Verlobung zu Leibe gerückt.
Die anderen schoben sich schon wieder entspannt gegenseitig durchsichtige Spitzen- BH -Sets mit Stringtanga, Hüftslip oder Hipster und biedere Bauch-weg-Schlüpfer zu. Wattierte Büstenhalter in der Farbe Plum, Miederslips in Burgunder, Baumwollbodys in Magnolia und Sport- BH s in Ecru. Die Gäste linsten nach den Preisschildern und schütteten sich zwischendurch immer wieder den billigen Prosecco in den Hals.
Zwei- bis dreimal in der Woche besuchte ich in meiner Stadt Falkensee, im benachbarten Potsdam und im angrenzenden Berlin gelangweilte, mehr oder weniger junge Damen, die hinter einem Abend als Gastgeberin einer Dessous-Party Aufregung und Abenteuer und einen Hauch Verruchtheit vermuteten. Letztendlich unterschieden sich die Abende aber kaum vom Heimverkauf von Plastikschüsseln. Wenn man davon absah, dass ich nicht in der Küche stand, sondern meinen Klapp-Kleiderständer und meine Warentischdecke im Wohnzimmer der Wohnungen und Häuser in und um Berlin ausbreitete. Und dass ich eben statt Plastikdosen, Trinkflaschen und Küchenhelfern gewagte Spitzentangas, Büstenhalter und Bodys und für die ganz Mutigen auch Ouvert-Slips im Angebot hatte. Alle Größen, alle Farben – wobei ein Großteil der Ware in 80 B verkauft wurde, der gängigsten Größe in Deutschland, Durchschnitt eben.
Gewöhnlich liefen die Partys nach Schema F ab. Erst saßen die Mädels steif und verklemmt auf Sofas und Sesseln und ließen sich von mir die Geschichte von Lucinda-Dessous erklären: Vor gut dreißig Jahren hatte sich eine gelangweilte Hausfrau in Nordfriesland über die Auswahl der Unterwäsche im einzigen Fachgeschäft ihrer Kleinstadt so sehr geärgert, dass sie ihr Konto plünderte, mit der Bahn in die nächste Großstadt fuhr und dort in verschiedenen Läden einen Koffer voll Reizwäsche einkaufte, die sie dann mit Gewinn an ihre Freundinnen und Nachbarinnen weiterverkaufte. Die Idee war geboren, die Frau vom Land suchte sich Mitstreiterinnen und später sogar eine Produktionsfirma in Frankreich, die ihre eigenen Entwürfe umsetzen konnte. Zunächst betrieb sie eigene kleine Läden in großen Einkaufspassagen. Nach den ersten Erfolgen gründete sie dann Lucinda-Dessous für die Heimverkäufe. Die Firma, deren Ware ich nun schon seit fast zwei Jahren kreuz und quer durch das Land Brandenburg und alle Bezirke in Berlin kutschierte.
Nach zwei bis vier Gläsern billigem Schaumwein in scheußlichen Leonardo-Gläsern mit eingeritzten Blümchen oder goldenen Girlanden hatten die Ladys dann meistens genug Mut, um sich vor ihren Freundinnen richtig nackt zu machen und Dinge anzuprobieren, die garantiert nie wieder das Tageslicht sehen würden, nachdem sie erst einmal bei ihnen zu Hause im Schrank gelandet waren. Für mich einerlei – ich bekam meine Provision auf die verkaufte Ware, ganz egal, wie oft die Stücke später getragen wurden. Mit dem Job schlug ich
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