Maengelexemplar
meiner fast jungfräulichen Zufriedenheit, im Stadium eines zart keimenden Glücks, tritt mir der blöde Penner Angst zwischen die nichtamputierten Beine und wirft mich um und lacht mich aus.
Ich meine es also ernst: Ich bin bereit, eine knallharte und auch gerne erschütternde Diagnose in Empfang zu nehmen. Ich meine, ich bin wirklich
bereit
. Sie in Empfang zu nehmen. Wie die Hostie in der Kirche, dünn und geschmacklos, aber eben unumstößlich existent.
Und der Popstarpsychiater sieht aus, als hätte er das Zeug und die Eier dazu und Lust auf eine top Diagnose.
Das einzige Problem ist: Er hat keine Ahnung von mir. Er weiß nichts von der allgemeinen Geschichte meiner siebenundzwanzig Jahre, der speziellen Geschichte des letzten Jahres und dem Auslöser für all die nur zäh abfließende Scheiße.
Nun denn, es sieht so aus, als käme ich hier nicht in zehn Minuten wieder raus. Der Popstarpsychiater hat Zeit, seine noch fast volle Bionade verspricht das auch – also auf ein Neues.
Ich bin anstrengend.
Das klingt erst mal ziemlich lässig.
Es klingt liebenswert und ein wenig kokett, selbstironisch, im Grunde genommen genau so, wie man sein Mädchen gerne mag. Cool, nicht zu lieblich, nicht zu damenhaft, vielleicht möchte man mit mir sogar Pferde stehlen.
Aber ich bin ein Stadtmädchen. Ich will auf keinen Fall Pferde stehlen. Auch kleinere Tiere nicht. Generell kann man mit mir nichts stehlen.
Ich bin anstrengend.
Ich werde sehr schnell wütend, traurig, überdreht und laut.
Auch das klingt zunächst sehr sympathisch: Ach, Karo ist eben einfach nur sehr emotional. In Zeiten, in denen Jugendliche sich, ohne mit der Wimper zu zucken, bei einer Cola Enthauptungsvideos im Internet ansehen, ist das doch toll, wenn jemand noch ordentlich was fühlt!
Aber ich kann versichern: Das ist anstrengend. Es ist anstrengend für mein Umfeld, und es ist vor allem anstrengend für mich.
Gefühle sind Stress. Natürlich ist man sich einig, dass Trauer, Schmerz und Enttäuschung sehr, sehr schlimm sind. Das weiß jeder. Aber auch Glück ist anstrengend. Ich finde nichts frustrierender, als neben einer auserwählten Person zu liegen und das Bedürfnis zu haben, ihr so nah wie möglich zu sein. Man kann sich umarmen und verknoten, bis man schwarz wird, man hat immer das Gefühl, noch näher sein zu wollen. Das sogenannte In-den-Partner-reinkriechen-Wollen. Aber man kann nun mal, von bestimmten Sexualpraktiken abgesehen,
nicht
in den Partner reinkriechen. Man wird nie nahe genug sein.
Oder Sehnsucht. Wie oft das Einander-Vermissen schon romantisiert, Chris-de-Burgh-isiert wurde. Sehnsucht ist fürchterlich. Wenn man vermisst, kann man sich nicht mal mit Kino ablenken, weil im Film am Ende doch immer alle einander haben.
Und nein: Vorfreude ist nicht die schönste Freude. Vorfreude ist die Zwillingsschwester von Sehnsucht und somit ein Haufen Mist.
So bin ich. Anstrengend. Und ich kokettiere damit nicht. Denn jegliches bei mir ankommende Gefühl, ob positiv oder negativ, potenziert sich innerhalb kürzester Zeit zu einem Drama. In meinem Bauch bildet sich ein Feuerball, und ich sehe rot. Kleinigkeiten machen mich irre, wegen einer Mücke werde ich zum Elefanten. Und nicht zu einem dieser Pixar-Elefanten, sondern zu einem von jenen, die aus Rache töten.
Als mir mal, nach einer Dreiviertelstunde Suche, ein mir eindeutig zustehender Parkplatz von einer anderen Frau weggeschnappt wurde, bin ich zunächst ausgestiegen, um zu argumentieren, als ich damit aber scheiterte, habe ich aus Wut einfach angefangen, zu weinen, und die Frau eine »blöde Schlampe« genannt. Sie war Mutter, wie ich am Kindersitz im Inneren des Autos sah. Also habe ich auch noch ihre abwesenden Kinder aufs Allerschlimmste verflucht.
Ich finde in solchen Momenten einfach kein Ende. Ich muss so lange streiten und krähen und kämpfen und bestrafen, bis mein Gegenüber zusammenbricht und sich entschuldigt. Da dies unbefriedigend selten der Fall ist, bin ich unbefriedigend oft wütend und enttäuscht und traurig.
Dieses Spektakel ist für die Betroffenen sicher unangenehm, aber für Außenstehende mag es, aus der Distanz betrachtet, auch ganz amüsant scheinen: Kuck mal, Karo kommt wieder Rauch aus den Ohren, und wie sie da mit hochrotem Kopf brüllend auf und ab hüpft, niedlich!
Ja, aus der Ferne gesehen, ist das ein Riesenspaß. Wobei ich leider selber überhaupt nicht in der Lage bin, mich von außen zu betrachten. Allein bei dem Gedanken an eine
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