Maerchen Fuer Kinder
»Mein Kind, mein geliebtes Kind!«
Da winkte die Fee und rief liebevoll: »Komm mit, komm mit!« Und er stürzte ihr entgegen, vergaß sein Versprechen schon den ersten Abend, und sie winkte und lächelte. Der gewürzige Duft ringsumher wurde stärker, die Harfen ertönten weit lieblicher und es war, als ob die Millionen lächelnder Köpfe im Saale, wo der Baum wuchs, nickten und sängen: »Alles muß man kennen! Der Mensch ist der Herr der Erde.« Und es waren keine blutigen Thränen mehr, welche von den Blättern des Erkenntnisbaumes fielen, es waren rote, funkelnde Sterne, die er zu erblicken glaubte. »Komm mit, komm mit!« lauteten die bebenden Töne und bei jedem Schritte brannten des Prinzen Wangen heißer, sein Blut bewegte sich stärker. »Ich muß!« sagte er. »Es ist ja keine Sünde, kann keine sein! Weshalb nicht der Schönheit und der Freude folgen? Sie schlafen sehen will ich; es ist ja nichts verloren, wenn ich sie nur nicht küsse, und das thue ich nicht; ich bin stark, ich habe einen festen Willen!«
Und die Fee warf ihre strahlende Tracht ab, bog die Zweige zurück, und nach einem Augenblick war sie darin verborgen.
»Noch habe ich nicht gesündigt,« sagte der Prinz, »und will es auch nicht.« Und dann zog er die Zweige zur Seite; da schlief sie schon, schön, wie nur die Fee im Garten des Paradieses es sein kann; sie lächelte im Traume, er bog sich über sie nieder und sah zwischen ihren Augenlidern Thränen beben.
»Weinst Du über mich?« flüsterte er. »Weine nicht, Du herrliches Weib; nun begreife ich erst des Paradieses Glück; dieses strömt durch mein Blut, durch meine Gedanken, die Kraft des Cherubs und des ewigen Lebens fühle ich in meinem irdischen Körper; möge es ewig Nacht für mich werden, eine Minute wie diese, ist Reichtum genug!« Und er küßte die Thränen aus ihren Augen, sein Mund berührte den ihren.
Da krachte ein Donnerschlag, so tief und schrecklich, wie niemand ihn je gehört, und alles stürzte zusammen; die schöne Fee, das blühende Paradies sank und sank immer tiefer. Der Prinz sah es in die schwarze Nacht versinken, wie ein kleiner, leuchtender Stern strahlte es aus weiter Ferne! Todeskälte durchschauerte seinen Körper, er schloß sein Auge und lag lange wie tot.
Der kalte Regen fiel ihm ins Gesicht, der scharfe Wind blies um sein Haupt, da kehrten seine Sinne zurück. »Was habe ich gethan!« seufzte er. »Ich habe gesündigt wie Adam, gesündigt, sodaß das Paradies tief versunken ist!« Und er öffnete seine Augen; den Stern in weiter Ferne, den Stern, der wie das gesunkene Paradies funkelte, sah er noch; es war der Morgenstern am Himmel.
Er erhob sich und war im großen Walde, dicht bei der Höhle der Winde; und die Mutter der Winde saß zu seiner Seite, sie sah böse aus und erhob ihren Arm in die Luft.
»Schon den ersten Tag!« sagte sie. »Das dachte ich wohl! Ja, wärest Du mein Sohn, so müßtest Du in den Sack!«
»Da soll er hinein!« sagte der Tod. Das war ein starker, alter Mann mit einer Sense in der Hand, und mit großen schwarzen Schwingen. »In den Sarg soll er gelegt werden, aber jetzt noch nicht, ich zeichne ihn nur an, lasse ihn dann noch eine Weile auf der Welt herumwandern, seine Sünde sühnen, gut und besser werden. Ich komme einmal. Wenn er es am wenigsten erwartet, stecke ich ihn in den schwarzen Sarg, setze ihn auf meinen Kopf und fliege gegen den Stern empor; auch dort blüht des Paradieses Garten, und ist er gut und fromm, so wird er hineintreten; sind aber seine Gedanken böse und das Herz noch voller Sünde, so sinkt er mit dem Sarge tiefer, als das Paradies gesunken, und nur jedes tausendste Jahr hole ich ihn wieder, damit er tiefer sinke oder auf den Stern gelange, den funkelnden Stern dort oben.«
Das Gänseblümchen.
Nun höre einmal!
Draußen auf dem Lande, dicht am Wege lag ein Landhaus, Du hast es gewiß selbst einmal gesehen. Vor demselben ist ein kleiner Garten mit Blumen und einem Zaun, welcher angestrichen ist; dicht dabei am Graben, mitten in dem schönsten grünen Grase wuchs eine kleine Gänseblume; die Sonne beschien sie eben so warm und schön, als die großen, schönen Prachtblumen drinnen im Garten, und deshalb wuchs sie von Stunde zu Stunde.
Eines Morgens stand sie mit ihren kleinen, blendend weißen Blättern, die wie Strahlen um die kleine, gelbe Sonne in der Mitte ringsherum sitzen, ganz entfaltet da. Sie dachte gar nicht daran, daß kein Mensch sie dort im Grase sehe und daß sie eine
Weitere Kostenlose Bücher