Maerchen Fuer Kinder
fiel und schrie gewaltig, denn sie hatte ein Bein gebrochen, die arme, alte Frau.
Johannes meinte sogleich, daß sie die Frau nach Hause tragen wollten, wo sie wohnte, aber der Fremde machte sein Ränzel auf, und sagte, daß er hier eine Salbe habe, welche sogleich ihr Bein wieder ganz und kräftig machen werde, so daß sie selbst nach Hause gehen könne, und zwar, als ob sie nie das Bein gebrochen hätte. Aber dafür wollte er auch, daß sie ihm die drei Ruten schenke, die sie in ihrer Schürze habe. »Das wäre gut bezahlt!« sagte die Alte und nickte ganz eigen mit dem Kopfe; sie wollte die Ruten eben nicht gern hergeben, aber es war auch nicht angenehm, mit gebrochenem Beine dazuliegen. So gab sie ihm denn die Ruten, und sowie er nur die Salbe auf das Bein gerieben hatte, erhob sich auch die alte Mutter und ging viel besser als zuvor. Das hatte die Salbe bewirkt, aber die war auch nicht in der Apotheke zu haben.
»Was willst Du mit den Ruten?« fragte Johannes nun seinen Reisekameraden.
»Das sind drei schöne Kräuterbesen!« sagte er. »Die liebe ich sehr, denn ich bin ein sonderbarer Mann!«
Dann gingen sie noch ein gutes Stück.
»Wie der Himmel sich umzieht!« sagte Johannes und zeigte gerade aus. »Das sind erschrecklich dicke Wolken!«
»Nein,« sagte der Reisekamerad, »das sind keine Wolken, das sind Berge, die herrlichen, großen Berge, wo man ganz hinauf über die Wolken in die frische Luft gelangt! Glaube mir, das ist herrlich! Bis morgen sind wir sicher schon dort!«
Das war nicht so nahe, wie es aussah; sie hatten einen ganzen Tag zu gehen, bevor sie die Berge erreichten, wo die schwarzen Wälder gerade gegen den Himmel aufwuchsen, und wo es Steine gab, gerade so groß als eine ganze Stadt. Das mochte wahrlich eine schwere Anstrengung werden, da hinüberzukommen, aber darum gingen auch Johannes und der Reisekamerad in das Wirtshaus, um auszuruhen und Kräfte zum morgenden Marsche zu sammeln.
Unten in der großen Schenkstube im Wirtshause waren viele Menschen versammelt, denn da war ein Mann, der gab ein Puppenspiel; er hatte gerade seine kleine Bühne aufgestellt, und die Leute saßen ringsumher, um die Komödie zu sehen. Ganz vorn aber hatte ein dicker Schlächter Platz genommen, und zwar den allerbesten; sein großer Bullenbeißer, der recht grimmig aussah, saß an seiner Seite und machte große Augen, gerade wie die andern Zuschauer.
Nun begann ein niedliches Stück mit einem Könige und einer Königin; die saßen auf dem schönsten Thron, hatten goldene Kronen auf dem Haupte und lange Schleppen an den Kleidern, denn das konnten sie haben. Die niedlichsten Holzpuppen mit Glasaugen und großen Schnurrbärten standen an allen Thüren und machten auf und zu, damit frische Luft in das Zimmer kommen konnte. Es war gerade ein recht hübsches Stück und gar nicht traurig; aber wie die Königin aufstand und über den Fußboden hinging, da – Gott mag wissen, was der große Bullenbeißer sich dachte – machte er, da der dicke Schlächter ihn nicht hielt, einen Sprung in das Theater, nahm die Königin mitten um den Leib, sodaß es knick! knack! ging. Es war ganz erschrecklich!
Der arme Mann, der das Stück aufführte, war sehr erschrocken und betrübt über seine Königin, denn es war die allerniedlichste Puppe, die er hatte, und nun hatte ihr der häßliche Bullenbeißer den Kopf abgebissen; aber als die Leute später fortgingen, sagte der Fremde, der mit Johannes gekommen war, daß er sie wieder zurecht machen werde, und dann nahm er seine Flasche hervor und schmierte die Puppe mit der Salbe, womit er der alten Frau geholfen, als sie ihr Bein gebrochen hatte. Sowie die Puppe geschmiert war, wurde sie wieder ganz, ja sie konnte sogar alle ihre Glieder bewegen, man brauchte gar nicht mehr an der Schnur zu ziehen; die Puppe war wie ein lebendiger Mensch, nur daß sie nicht sprechen konnte. Der Mann, der das kleine Puppentheater hatte, wurde sehr froh; nun brauchte er diese Puppe gar nicht mehr zu halten, die konnte ja von selbst tanzen. Das konnte keine der andern.
Als es Nacht geworden und alle Leute im Wirtshause zu Bett gegangen waren, da war jemand, der erschrecklich tief seufzte und so lange damit fortfuhr, bis alle aufstanden, um zu sehen, wer es sein könnte. Der Mann, der das Stück gegeben hatte, ging nach seinem kleinen Theater hin, denn dort war es, wo jemand seufzte. Alle Holzpuppen lagen unter einander, der König und alle Trabanten, und die waren es, die so jämmerlich seufzten
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