Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen
1
Benny Keegan sauste den Korridor im fünften Stock des Zetter entlang, sein kleiner Hund Sparky folgte ihm brav auf den Fersen. Schwungvoll hielt Benny das Tablett mit einer Hand hoch, so wie er es bei Gilbert gesehen hatte. Als die Kaffeekanne ein Stückchen rutschte und die Tassen leise klapperten, nahm er es jedoch schnell wieder herunter und hielt es mit beiden Händen fest. So etwas musste er erst noch üben.
Nicht, dass das Hotel ihn jemals als Zimmerkellner einstellen würde. Dafür, hatte es geheißen, bräuchte ein Sechzehnjähriger noch jede Menge »Würze«. Die Leute, die das Einstellungsgespräch mit ihm geführt hatten, lachten über den Ausdruck »Würze« – wie bei Speisen, kapiert ? Benny verstand sehr wohl und setzte insgeheim noch eins drauf. Er war nicht sechzehn, sondern erst dreizehn: Und ihr seid drauf reingefallen, kapiert?
Dreizehn! Doch was ihm an Körpergröße und Erfahrung fehlte, machte er durch Tiefgründigkeit wett – in seinem Blick, seiner nachdenklichen Miene, seiner auffälligen Ernsthaftigkeit und Weltgewandtheit.
»Und die richtige Würze«, hatten sie hinzugefügt, »kriegst du in der Küche – beim Tellerwaschen und in der Spätschicht …«
Und nun sprang er mit seinem Hund für den alten Gilbert ein und brachte ein Tablett mit Kaffee hoch.
Er klopfte an die Tür. Keine Antwort. Klopfte noch mal. Wie lief so etwas normalerweise eigentlich ab? Auf die Feinheiten war der alte Gilbert nicht eingegangen: Dieser Gast hier hatte sich das Abendessen aufs Zimmer kommen lassen und anschließend noch einen Kaffee bestellt. Es müsste also jemand da sein. Benny klopfte erneut. Gilberts Chipkarte hatte er dabei. (»Pass gut darauf auf, mein Junge. Braucht ja keiner zu erfahren. Ich bin bloß mal kurz weg, ’n Bierchen trinken.« Sein Lachen hörte sich verschleimt an, während er den Mantel überzog.)
Doch beim letzten Klopfen hatte die Tür nachgegeben, war ein Stückchen aufgegangen, und nun stieß Benny sie sachte auf. Dabei machte er sich erneut bemerkbar: »Zimmerservice.« Keine Antwort. Hoffentlich hatte er nicht das falsche Zimmer erwischt. Nun stand er mit Sparky in dem schwach erleuchteten Raum und sah sich vorsichtig um. Man konnte sagen, was man wollte, piekfein war das hier schon – richtig modern und schick. Nicht piekfein à la dreihundert Mäuse die Nacht, aber er hätte nichts dagegen, hier mal zu übernachten – blütenweiße Bettlaken gab es hier und Badetücher, mit denen man ein Zelt aufschlagen könnte. Und überall blitzblank poliertes Holz. Sehr nett.
Links war ein Wandbord, das man auch als Schreibtisch oder Esstheke benutzen konnte. Darauf stand das Essensgedeck, das Gilbert vor etwa einer Stunde serviert hatte. Schweres Besteck, gutes Porzellan. Die Überreste von einem Hamburger, dazu Pommes frites und kleine Töpfchen mit Senf, Ketchup und Essiggürkchen – der Inhalt üppig über die Pommes frites und den halb gegessenen Hamburger verschmiert. Wo steckte dieser Mensch bloß? Vielleicht war er ja hinuntergegangen, um mit jemandem am Empfang zu sprechen oder sonst etwas. Ins Restaurant wohl kaum, schließlich hatte er Zimmerservice bestellt. Die Schiebetür zum Balkon stand offen – zum Patio, wie es hier im Hotel vornehm hieß –, und Sparky war schon draußen und schnüffelte herum. Sämtliche Zimmer hier oben verfügten über eine Dachterrasse, und die hier war richtig groß. Vielleicht war der Gast ja dort draußen und genoss die Aprilnacht.
Weil Sparky auf einmal zu bellen anfing, trat Benny mit dem Tablett in der Hand auf die Terrasse hinaus. Dort standen ein paar Metallstühle herum, ein Tisch. Und Pflanzen, große Pflanzen in großen Töpfen. Und da sah er ihn plötzlich, direkt neben Sparky. Der Mann lag seltsam verrenkt neben dem Tisch, das Gesicht unnatürlich zur Seite verdreht.
Benny hielt sich am Tablett fest, die Kaffeekanne zitterte, die kleinen Tassen stießen aneinander. Das Tablett fühlte sich an, als klebte es an seinen Händen. Er holte ein paar Mal tief Luft, versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Wie gebannt starrte er hinunter auf das Gesicht des Mannes, das er nur undeutlich ausmachen konnte. Ziemlich jung. Und vermutlich viel Kohle – das Jackett, das er trug, war wirklich edel. Nun ja, inzwischen vielleicht nicht mehr ganz so edel mit dem großen Blutfleck drauf.
Endlich schaffte er es, das Tablett abzustellen. Er schob den Hund beiseite und beugte sich hinunter. Eigentlich müsste er die Leiche umdrehen,
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