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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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»Elisenhain. Ich wollte sowieso mit Micha rausfahren. Sie liebt den Wald dort, wenn Schnee liegt. Wir könnten morgen fahren.«
    »Wann morgen? Wo finde ich euch?«
    »Beim russischen Laden. Nachmittags. Vier.« Er wandte sich zum Gehen, und sie hörte ihn murmeln: »Ich muss völlig verrückt sein.«
    »Warte!«, rief Anna. »Wohin gehst du jetzt? Kann ich nicht mitkommen?«
    Er drehte sich noch einmal um und sein Blick war seltsam. »Nein, Anna«, sagte er. »Dorthin, wo ich jetzt hingehe, kannst du nicht mitkommen.«
    Sie setzten Bertil in ein Taxi nach Hause. Gitta war zum Glück zu sehr mit Hennes beschäftigt, um Fragen zu stellen, und Anna entwischte auch Frauke. Zu Hause saß Linda im dunklen Wohnzimmer und tat so, als hätte sie nicht gewartet.
    »Du kannst jetzt schlafen gehen«, sagte Anna und gab ihr einen Gutenachtkuss. »Entschuldige, ich rieche wahrscheinlich wie eine Tabakfabrik.«
    »Du zitterst ja«, sagte Linda. »Hattest du nicht genug an?«
    »Doch«, sagte Anna. »Sogar einen Pullover, der mir gar nicht gehört. Es ist nicht die Kälte. Ich glaube, es ist die Wut.«
    »Auf was?«, fragte Linda, doch Anna zuckte nur die Schultern. »Vielleicht auf mich selbst«, antwortete sie.
    Am nächsten Tag kamen die Fragen. Hunderttausend Fragen, die stachen wie kleine, scharfe Nadeln. Frauke schoss die meisten ab, aber Gerüchte laufen schnell, und auch die Blicke der anderen in der Kollegstufe gerieten unter Annas Haut. Anna Leemann – nachts, im Pullover des polnischen Kurzwarenhändlers? Stimmte es, dass sie was mit ihm hatte?
    »Ach, wie aufregend«, sagte Frauke. »Erzähl mal, wie ist er denn so? Ich meine, ohne die Militärjacke und den schwarzen Pullover und … ohne alles?«
    Anna antwortete nicht. Sie antwortete keinem. Seltsamerweise blieb nur Gitta still.
    Abel stand im Hof wie immer, in der klirrenden Kälte, die Hände in den Taschen vergraben. Es fiel kein neuer Schnee, doch der alte blieb hartnäckig liegen. In der zweiten Pause trat Bertil zu Anna und wusste nicht, wo er hinsehen sollte.
    »Ich wollte mich entschuldigen«, sagte er leise. »Wegen gesternNacht. Ich weiß nicht so genau, was ich gesagt habe … Nach dem, was ich gehört habe, war es wohl nichts Nettes. Ich hätte weniger trinken sollen.«
    »Kinder und Betrunkene sagen die Wahrheit«, erwiderte Anna.
    »Es … es tut mir leid!«, sagte Bertil. »Kannst du mir nicht verzeihen?«
    »Nicht jetzt«, sagte Anna. »Und überhaupt bittest du die falsche Person um Verzeihung. Du musst schon über den Hof zu den Fahrradständern gehen, um die richtige Person zu treffen.«
    »Oh nein«, sagte Bertil. »Nein, bestimmt nicht. Anna … ihr seid nicht wirklich zusammen, oder? Sag mir, dass das nicht stimmt.«
    Anna ließ ihn stehen und ging hinaus, ging selbst über den Hof, sie hatte das Gerede satt, sie hatte die anderen satt, alle. Es war ihr egal, was sie dachten, und sie konnte nicht länger auf Abels private Glaskugel achten, die er da draußen um sich baute. Sie stellte sich neben ihn und sagte: »Weißes Rauschen?«
    Er nickte.
    »Bitte«, fragte sie, »kann ich einen Ohrstöpsel von dir haben? Ich habe die anderen so satt. Ich will ihre Fragen nicht mehr hören und ihre blöden Kommentare.«
    Er sah sie nicht an. Er gab ihr wortlos einen seiner Ohrstöpsel. Er hatte begriffen, dass es keinen Sinn mehr hatte, so zu tun, als würde er Anna nicht kennen. Das weiße Rauschen aus dem Walkman hüllte sie beide ein wie eine dicke Decke aus Neuschnee, es faltete seine Flügel über ihnen zusammen und schloss die neugierigen Blicke aus.
    Und die Welt unter den Flügeln des weißen Rauschens war auf wunderbare Weise vollkommen still.
    Nachmittags um vier schwang das Schild des russischen Ladens in der Hainstraße im Wind hin und her wie stets, zeigte mal seine russische und mal seine deutsche Seite, die russischen Süßigkeiten in ihren Papier-Goldboxen verblassten im Schaufenster, und die russischen Puppen stapelten sich von selbst im halb blinden Schaufenster ineinander – aber weiter hinten in der Straße waren drei Gestalten unterwegs, und am Ende der Straße begann der Wald.
    Die hohen Buchen ragten still in den Winterhimmel, ihre schneeverzierten Äste glichen abstrakten Jugendstilornamenten, und weit, weit oben hatte jemand sie mit tausend kleinen Singvögeln verziert. Der Elisenhain um vier Uhr nachmittags an einem Februartag schien der wunderbarste Ort der Welt zu sein. Ein Märchenwald voller unsichtbarer Geschichten,

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