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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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dachte und was er wollte. Er hatte recht: Sie kannte ihn nicht. Kevin und Marcel standen nicht mehr vor dem Mittendrin. »Also dann …«, meinte Abel. »Die anderen warten auf dich.«
    »Komm mit hinein«, sagte Anna plötzlich. »Trink einen Wodka mit. Ich lade dich ein. Du hast genauso Mathe geschrieben …«
    »Ich glaube nicht, dass ich zu denen passe, mit denen du hier bist«, sagte Abel.
    »Ich auch nicht«, meinte Anna. »Komm trotzdem mit. Sie sind harmlos.«
    Abel ließ sich von ihr durch die Tür ziehen, widerstrebend.
    »Warte«, sagte er. »Was ist das? Eine Einführung in die bessere Gesellschaft? Pass auf, was du tust.«
    Anna lachte. »Wir leben nicht im Mittelalter und auch nicht in Indien. Es gibt keine Kasten. Komm. Frauke zum Beispiel wird sich freuen. Sie hat mal überlegt, sich experimentell in dich zu verlieben.«
    »Oh Gott«, sagte Abel und verdrehte die Augen.
    Und für einen Augenblick dachte Anna, alles wäre gut. Abel würde sich zu ihnen an den Tisch setzen und mit ihnen lachen und nicht mehr der polnische Kurzwarenhändler sein, sondern ein Mitstreiter gegen das Abi, ein Mensch mit einem Vornamen. Diedunkle, verqualmte Luft nahm sie auf, und sie schlängelte sich voraus zu dem Tisch, an dem die anderen saßen. Er folgte ihr, sie sah ihn Leuten zunicken, die sie nicht kannte und eventuell auch nicht kennen wollte. Er schwamm in der Kneipenluft wie ein Fisch im Wasser, und dennoch zögerte er, zu den anderen an den Tisch zu treten. Gitta lag längs auf dem schwarzen Ledersofa und hatte den Kopf auf Hennes’ Knie gelegt. Sie sah auf angenehme Art schläfrig aus, aber nicht wirklich müde; sie sah aus, als hätte sie heute Nacht noch eine Menge vor.
    »Anna«, sagte sie und sah mit einem Blinzeln zu ihr auf. »Wo hast du so lange gesteckt?«
    »Ich habe draußen jemanden getroffen.« Anna trat zur Seite, um eine vage Geste in Richtung Abel zu machen. Und plötzlich sahen alle am Tisch zu ihr. Gitta setzte sich auf. Sie schien mit einem Schlag wacher zu werden.
    »Ach, Tannatek«, sagte sie. »Hallo.« Die anderen sagten nichts. Sie starrten. Und Anna wurde sich auf einmal bewusst, dass sie noch immer Abels Pullover trug. Na und? Sie stellte sich etwas gerader hin. »Wir haben doch noch einen freien Stuhl irgendwo«, sagte sie. »Wir …«
    Weiter kam sie nicht. Denn in diesem Moment stand Bertil auf, drängte sich an Frauke vorbei und kam auf sie zu. Er war etwas unstet auf den Beinen.
    »So ist das«, sagte er, sehr laut für Bertil. »Ich verstehe. Ich verstehe alles. Fürs Mathe-Erklären bin ich gut genug, fürs Helfen bin ich der Richtige. Aber das war’s dann auch. Ich … Du … Du kannst mich mal, Anna Leemann. Ich hab’s mir ja … ich hab’s mir gedacht, es war ja klar, völlig klar …«
    Er hielt sich an Fraukes Stuhl fest. Seine Brille rutschte schonwieder und er riss sie sich plötzlich aus dem Gesicht und knallte sie auf den Tisch.
    »Bertil«, sagte Anna, »du bist ja betrunken.«
    »Nein«, sagte Bertil, aber seine Worte waren schleppend und schwer. »Ich bin absolut … absolut nüchtern. Zum ersten Mal völlig nüchtern. Du … du musst betrunken sein, schau dich mal an, wie du herumläufst, gehst du jetzt … gehst du unter die Assis, oder was?«
    Er kam auf sie zu, ungelenk, brillenlos, beinahe blind, doch in seinen Augen sang eine unerwartete und gefährliche Wut. Anna wich zurück und sie sah Abel ebenfalls einen Schritt zurück machen. Vor den Typen draußen ist er nicht zurückgewichen, dachte sie.
    »Bertil, setz dich hin«, sagte Frauke.
    »Du hast mir gar nichts zu befehlen«, sagte Bertil mit seiner schweren Zunge. Und mit einer plötzlichen, beinahe ziellosen Bewegung seines Arms stieß er Anna zur Seite und stand Abel gegenüber. Anna hielt sich an der Theke fest, um nicht zu fallen, stieß ein Glas um, hörte das Splittern des Glases und spürte, wie sich die Augen einer Menge Leute auf sie richteten. Auf sie und Abel und Bertil.
    Abel stand jetzt still da wie ein Stein. Selbst sein Gesicht war aus Stein. Bertil ging noch einen Schritt auf ihn zu und wischte in einer seltsamen Geste den Schnee von Abels Jacke.
    »So cool wie Tannatek in seiner Militärkluft kann ich natürlich nie…niemals werden«, lallte er. »Aber hör mal, da fehlt ein Knopf … ein Knopf an deiner Jacke, und … willst du dir nicht die Haare mal wieder drei … drei Mill…Millimeter … auf drei Millimeter abschneiden? Deine Nazifreunde sehen das sicher nicht gern,

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