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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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ein Geschichtenwald voller unerzählter Märchen, ein Wald voller märchenhafter Erzählungen …
    »Bertil hat sich entschuldigt«, sagte Anna. Sie bogen auf die alte Straße ab, die Pflasterstraße, die die alten Pferdewagen früher zu zwei Rinnen zerfahren hatten, doch nun lag das Pflaster tief unter dem Schnee verborgen. Micha lief voraus wie meistens und zählte die Rehspuren.
    »Bertil«, wiederholte Abel. »Tu mir einen Gefallen und erwähn diesen Namen eine Weile nicht mehr, ja?«
    »Er ist auf seine Art ein armer Kerl«, sagte Anna. »Er …«
    »Ist es das?«, fragte Abel bitter. »Ist das der Grund, weshalb du mit mir hier unterwegs bist? Sammelst du Leute, von denen du denkst, dass sie arm dran sind und man ihnen helfen muss?«
    »Du weißt ganz gut, warum ich hier mit dir unterwegs bin«, sagte Anna, blieb stehen und sah ihn an. Und sie dachte, dass sie vielleicht doch die Initiative ergreifen musste, wenn es einen zweiten Kuss geben sollte. Sie hatte Angst, dass er zurückweichen würde,nach allem, was gestern Nacht geschehen war, Angst, dass damit alles verspielt wäre. Sie sah zu den Buchen, sie bat um ein Zeichen, doch die Buchen waren stumm und still und halfen ihr nicht.
    Da warf sie ihre Angst ganz alleine über Bord und küsste ihn trotz allem. Und er wich nicht zurück. Vielleicht, dachte sie, hatte er darauf gewartet, dass sie tat, was sie tat.
    »Kann es sein«, sagte er nach einer Weile, etwas außer Atem, und betrachtete den obersten ihrer Mantelknöpfe, der sich gelöst hatte, »dass du wieder oder immer noch meinen Pullover trägst? Ich habe es in der Schule nicht bemerkt …«
    »Ich … ich gebe ihn zurück …«
    »Nicht jetzt«, sagte Abel. »Jetzt sollten wir Micha einholen.«
    Er nahm sie an der Hand, und sie begannen zu rennen, die alte Straße entlang, schlitternd auf den überfrorenen Pflastersteinen, die unter dem Schnee lagen – es war, als wären sie zwei Kinder, zwei Kinder in einem Märchenwald. Es hätte Weihnachten sein können, dachte Anna, es hätten silberne Glöckchen in den Ästen hängen können und polierte rote Äpfel, es hätte Musik aus den Wipfeln hinabklingen können, ganz leise, und hinter einer der Buchen hätte Gittas alter Schlitten mit dem roten Band warten können …
    »Fangt mich!«, rief das dritte Kind, das Kind in der rosa Daunenjacke. Und es floh, hinein in den Wald, auf einem Pfad, der von der Straße wegführte, quer durch die hohen Säulen der Baumstämme. Ein zugefrorener Bach wand sich am Pfad entlang, schlängelte sich bläulich glitzernd durch die Winterpostkarte, gesäumt von gefrorenen Büscheln langen Grases, und Micha sprang mit einem Satz darüber, kichernd, übermütig, und rannte am anderen Ufer weiter. Anna war hinter Abel zurückgeblieben, auf dem Pfad hatten sie sich loslassen müssen, aber jetzt rutschte er aus und landete in dem gefrorenen Bachbett, und sie lachte und rannte an ihm vorüber. Sie holte Micha an einer Stelle ein, wo der Pfad sich gabelte, doch Anna blieb nicht stehen. Sie schlug den linken Pfad ein und rief über ihre Schulter.
    »Ha! Und jetzt könnt ihr mich fangen!« Vor ihr tauchte der Pfad in einiger Entfernung in ein dicht eingeschneites Haselgebüsch, vielleicht war es gar kein Pfad, sondern ein Wechsel, den die Rehe benutzten. Sie sah sich im Rennen um. Micha kam ihr nicht nach, sie stand immer noch an der Weggabelung, seltsam unschlüssig. Aber Abel näherte sich jetzt. Anna lief weiter, auf das Haselgebüsch zu, sie könnte sich hineinwerfen und sich darin verstecken, obwohl er sie natürlich sofort finden würde, es wäre ein Spiel, ein Kinderspiel … Er erreichte sie kurz vor dem Haselgebüsch und riss sie zu Boden und sie landeten beide im Schnee. Anna versuchte, sich wieder aufzurappeln, aufzuspringen, weiterzurennen, doch er hielt sie fest, und sein Griff war plötzlich eisern. Sie sah zu ihm auf. Seine Augen waren golden. Nein, das hatte sie sich eingebildet, sie waren blau wie immer.
    »Hey!«, sagte sie. »Lass das! Lass mich los!«
    »Nicht hier entlang«, erwiderte Abel. »Hier wird der Wald zu dicht.«
    »Aber es ist schön hier«, sagte Anna. »Im Frühjahr blühen bei diesem Haselgebüsch die meisten Buschwindröschen, ich bin schon oft hergekommen …«
    Abel zog sie auf die Beine. Sein Griff war noch immer eisern. Er hatte sie mit der rechten Hand gepackt, in seiner Eile hatte er vergessen, dass das Handgelenk verletzt war, und sie sah, wie er die Zähne zusammenbiss, um den

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