Mafiatochter
ich fühlte mich deshalb sehr schlecht. Damals glaubte ich, es wäre alles Gerards und mein Fehler. Ich wollte im Gerichtssaal aufstehen und aussagen, dass mein Vater nichts getan hatte. Es war, als stünde er für die neunzehn Morde vor Gericht, als wollten sie es ihm zurückzahlen. Jetzt konnten sie wenigstens behaupten, Sammy Gravano hätte Drogen verkauft.
Ich war bereits auf die Regierungsbehörden nicht gut zu sprechen, weil ich fand, dass sie meinen Vater fallen ließen, obwohl er sich auf ihre Seite geschlagen hatte. Da tut man etwas für sie, und nun das!
Als der Seiteneingang geöffnet wurde, wurde es unruhig im Gerichtssaal. Einige Hilfsbeamte eskortierten meinen Vater, der in Handschellen gelegt war. Er ging aufrecht und lächelte mir zu. Er war immer stark für uns alle, und auch dieser Tag bildete keine Ausnahme. Als nächster wurde Gerard hereingebracht, in Handschellen wie Papa. Er nahm einen Platz gegenüber von ihm ein.
Die erste Person, die vortreten musste, war ich.
»Können Sie für das Protokoll ihren Namen nennen«, bat mich Richter Sheldon.
Ich brachte nichts heraus und stand nur da.
Mein Anwalt neben mir drängte mich: »Sag ihn, Karen, sag ihn einfach«, raunte er mir zu.
»Fräulein, können Sie bitte Ihren Namen nennen?«, wiederholte der Richter.
»Karen Gravano«, sagte ich mit leiser Stimme.
»Würden Sie bitte Ihr Alter angeben?«
Ich war so aufgeregt, dass ich mich nicht daran erinnern konnte, wie alt ich war, und blickte mich zu meiner Mutter um. Sie formte mit ihren Lippen die Zahl neun-und-zwan-zig.
Papa redete dazwischen und sagte: »Lüg jetzt nicht, du stehst unter Eid.« Alles im Saal lachte, sogar der Richter.
Danach verschwammen die Ereignisse. Mama, Papa und Gerard nahmen nacheinander ihren Platz vor dem Richter ein. Es war wohl einer der schlimmsten Tage meines Lebens. Zum ersten Mal stand ich da und fragte mich: Was habe ich getan? Wie konnte das passieren? Wie konnte es soweit kommen?
Wir unterschrieben unsere Plädoyers und wurden angewiesen, uns am 28. September wieder im selben Gerichtssaal zur Urteilsverkündung einzufinden. Ich hatte mich des »Gebrauchs fernmündlicher oder elektronischer Kommunikationseinrichtungen« und »Transaktionen im Zusammenhang mit Rauschgift« für schuldig bekannt. Ich erhielt drei Jahre auf Bewährung. Mama bekam fünf Jahre auf Bewährung für »illegale Unternehmensführung«, was in aller Kürze die Vermutung der Behörden ausdrückte, dass sie die gesamte Unternehmung finanziert hätte. Gerard wurde zu neuneinhalb Jahren Gefängnis wegen »illegaler Unternehmensführung« und »Verkauf und Transport illegaler Substanzen« verurteilt.
Seine Strafe war ein halbes Jahr länger, als Papa im Gegenzug gegen unser aller Schuldeingeständnis vereinbart hatte.
Mein Vater bekannte sich in zehn Punkten für schuldig, darunter »organisierter Verkauf gefährlicher Rauschmittel«, »Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation« und »Geldwäsche«. Als er vor den Richter trat, verurteilte Sheldon ihn zu neunzehn Jahren Haft ohne Aussicht auf Bewährung. Das bedeutete, Papa würde frühestens mit vierundsiebzig wieder freikommen. Auch dieses Strafmaß war länger als vereinbart.
Mein Vater hatte stets darauf beharrt, dass die Anklage gegen ihn völlig überzogen gewesen sei. Ein paar Jahre nach seiner Verurteilung rückte ein Polizeibeamter, der an dem Fall von Anfang an beteiligt gewesen war, mit Informationen heraus, die für die Verteidigung meines Vaters entscheidend gewesen wären, von denen wir damals jedoch nichts wussten.
Der Beamte behauptete insbesondere, es gebe Abschriften von Aufnahmen, die mittels einer Wanze unter dem Schreibtisch meines Vaters gemacht worden seien. Diese Protokolle hätten gezeigt, dass mein Vater versucht habe, Gerard und Mike davon abzubringen, sich im Drogengeschäft zu betätigen, und sie zur Aufnahme einer legalen Tätigkeit zu bewegen.
Damals hieß es, die Aufnahmen hätten sich nicht transkribieren lassen. Wenn dieser Beamte jedoch Recht hätte, dann wäre diese Zeugenaussage gegen meinen Vater falsch gewesen – ob sich die betreffenden Zeugen der Folgen bewusst waren oder nicht. Außerdem erfuhren wir, dass Strafverfolger aus dem Eastern District von New York die Polizei gedrängt hätten, Mike Papas Rolle in der Drogenorganisation herunterzuspielen, damit er nicht als Anführer dastehe.
Man brachte meinen Vater und Gerard auch nach New York, wo sie wegen der angeblichen Verbindung
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