Mafiatochter
die Verantwortung dafür übernehmen, was du als Sammy the Bull getan hast. Wenn wir die Kinder von irgendeinem John Smith wären, wäre Gerard wahrscheinlich nicht im Gefängnis gelandet.«
Ich empfand es als Befreiung, meinen Ärger endlich loszuwerden. »Als ich gerade neunzehn war und du mit dem FBI kooperiert hast, dachtest du wohl, ich könnte einfach weitermachen wie bisher. Du wolltest immer nur das Beste für uns, hast du gesagt. Du hast geglaubt, dein Leben völlig geheim und getrennt von unserem zu führen, aber du hast nicht gemerkt, dass auch wir es gelebt haben. Du weißt nicht, was das für ein Gefühl war, als Onkel Eddie vorbeikam und mich beauftragte, dir Zyankali in die Zelle zu bringen, oder als die Leute mich wegen dir nicht bei sich zu Hause haben wollten. Ich musste mit alledem ganz alleine fertig werden.«
Ich konnte auch den Teil nicht weglassen, dass sogar meine eigene Familie, vor allem mein Baby Karina, beinahe von Peter Gotti in die Luft gejagt worden wären – nur wegen ihm. »Um Haaresbreite hätte man uns hochgehen lassen«, wetterte ich. »Wie soll ich da ein neues Leben anfangen?«
Mein Vater war sprachlos. Schließlich sagte er: »Du hast Recht, du hast zu hundert Prozent Recht.« Er entschuldigte sich.
Das war ein Wendepunkt für uns zwei. Es war gut. Als ich an jenem Tag das Gefängnis verließ, hatte ich den Eindruck, dass wir unser Verhältnis auf eine neue Ebene gebracht hatten. Seit unserer letzten Begegnung war ich erwachsen geworden. Ich befand mich privat in einer ganz anderen Situation, in der ich mich sicherer fühlte. Ich ging nicht als Tochter von Sammy the Bull, sondern als Karen Gravano, und ich spürte, dass auch mein Vater das begriff. Er betrachtete mich als Erwachsene, unabhängig von sich. Um hierher zu gelangen, waren viele langwierige Grabenkämpfe notwendig gewesen. Ich war inzwischen einunddreißig und verfügte endlich über ein klares Selbstverständnis. Ich beschritt einen Weg meiner Wahl.
Ich war eine allein erziehende Mutter, die einen Neffen und eine Tochter aufzog, und für sie wollte ich mein Bestmögliches geben. Ich beschloss, allen Ärger und allen Groll fahren zu lassen, den ich Menschen gegenüber hegte, die mir meiner Ansicht nach Unrecht angetan hatten. Ich musste in der Lage sein, meine eigenen Fehler einzusehen, ohne jemand anderen für meine Entscheidungen und Handlungen verantwortlich zu machen.
Trotzdem ist mein Vater immer noch ein sehr wertvoller Mensch für mich. Wenn ich etwas vorhabe, spreche ich mit ihm darüber. Seine Meinung ist mir wichtig, auch, wenn ich seinen Rat nicht immer annehme. Ich glaube, auch Papa respektiert mich inzwischen als Erwachsene.
Die Zeit, die ich in Arizona mit meinem Vater verbracht habe, also jene anderthalb Jahre, in denen er nicht im Gefängnis oder im Zeugenschutz war, war für mich sehr wichtig. Damals erzählte Papa viel über sein Leben in der Mafia, und ich verstand, warum er seine Entscheidungen so und nicht anders getroffen hatte. Am wichtigsten aber war, dass ich begriff, wie sehr er seine Familie liebte. Er sagte immer: »Jede Richtung, die du im Leben einschlägst, weist denen, die nach dir kommen, den Weg.« Ich begriff endlich, was das bedeutete.
Ich wünschte nur, Gerard und ich hätten früher verstanden, was er uns damit zu sagen versucht hatte. Vielleicht säße mein Vater dann nicht zwanzig Jahre wegen Rauschgifthandels im Gefängnis. Vielleicht wären wir alle ganz woanders, hätte mein Vater seine eigene Lebensweisheit früher im Leben verinnerlicht. Wer weiß. Vielleicht wäre er aber auch tot.
Ich weiß, dass sämtliche Entscheidungen und Schritte eines jeden von uns Auswirkungen auf die Anderen gehabt haben. Doch bei allem, was wir durchgemacht haben, sind wir doch eine Familie geblieben. Wir arbeiten jeden Tag daran, das alles endlich hinter uns zu lassen. Mafia-Kinder leben mit Narben und werden schrecklich verletzt. Es gibt keinen Ausweg. Doch eines habe ich gelernt: dass es einfacher zu ertragen ist, wenn man eine liebende und fürsorgliche Familie hat.
Fünf Jahre nach meiner Verhaftung lieh ich mir Geld von meinen Großeltern und kaufte meiner Chefin ihre Firma The Body Wrap and Company ab, einen Wellness-Salon, in dem auch Heilanwendungen durchgeführt wurden. Mein Traum wurde wahr: Ich besaß ein eigenes Unternehmen und verdiente damit genug Geld, um meine Familie versorgen zu können. Meine Mutter arbeitete ebenfalls dort. Kurz nach unserer Verhaftung im Jahre
Weitere Kostenlose Bücher