Der Schluessel zum Glueck
1. KAPITEL
Julian Diamond verließ Sacramento um kurz nach zwei an jenem kalten, klaren Sonntag im späten Dezember. Sie hatte die Stadt kaum hinter sich gelassen, da begann der Himmel sich zu verdunkeln.
Im Vorgebirge schneite es. Die dicken Flocken wirbelten im grauen Licht umher und schmolzen, sobald sie die Windschutzscheibe trafen.
Jilly warf einen kurzen Blick zum Beifahrersitz hinüber. „Voila, Missy. Schnee.“
Missy, eine kleine bunt gescheckte Katze mit einem verstümmelten Ohr und normalerweise umgänglichem Gemüt, funkelte sie durch das Gitter des Transportkorbs hindurch an. Missy reiste nicht gern.
Jilly schaute wieder nach vorn. „Schnee ist gut, weißt du. Schnee gehört zum Plan.“
Der Plan sah so aus: Man nehme eine kreative, zufriedene, allein stehende Frau, füge Weihnachten in idyllischer Umgebung hinzu, verrühre beides gut und man erhielt… eine Zeitungskolumne. Oder einen Artikel, der sich an ein
Hochglanzmagazin verkaufen ließ.
Nein, dies würde kein einsames Single-Weihnachten werden, das Jilly auf einer ziellosen Wanderung durch Bars voller Pärchen verbrachte. Kein Fest, von dem sie sich mit bedeutungslosen Abenteuern ablenkte, mit Typen, die alles hatten –
bis auf ein Herz. Genau so eine traurige Reportage hatte Jillys Redakteur bei der Tageszeitung Sacramento Press-Telegram vorgeschwebt.
Jilly hatte ihn zurückgewiesen. „Hör zu, Frank. Das ist mein Leben, und ich werde es nicht vor der ganzen Redaktion und zweihundertfünfzigtausend Lesern ausbreiten.“ Sie machte ihm einen Gegenvorschlag: Stattdessen wollte sie über ein glückliches Single-Weihnachten schreiben. Darüber also, wie sie und ihre Katze und ein Christbaum die Festtage zufrieden an einem ruhigen, malerischen Ort verbrachten.
Frank unterdrückte nur mit Mühe ein Gähnen. „Okay, vergiss es einfach.“
Na schön. Jilly hatte beschlossen, trotzdem etwas zu schreiben und es im nächsten Jahr an eine andere Zeitung oder Zeitschrift zu verkaufen.
Und deshalb waren sie und Missy jetzt unterwegs zu einer alten Berghütte hoch im Sierra-Gebirge auf der östlichen Seite des Lake Tahoe, der Seite, die im Bundesstaat Nevada liegt.
Das Wetter schien mitzuspielen. Denn natürlich gehörte zu einem richtigen Single-Weihnachten Schnee, der vor einem großen Aussichtsfenster seine weiße Pracht entfaltete.
Schade war nur, dass Jilly sich ein wenig kurzfristig zu diesem Projekt entschieden hatte und sich daher mit einem nicht ganz so perfekten Ambiente begnügen musste. Höchstwahrscheinlich würde die Hütte gar kein großes Aussichtsfenster haben. Aber das störte Jilly gar nicht so sehr. Immerhin konnte sie die Berge und Pinien und glitzernden Schneeflocken auch so genießen. Sie schob eine Weihnachts-CD in den Player, drehte die Lautstärke auf und sang zusammen mit Boyz II Me: „Let it snow, let it snow, let it snow…“
Das tat es auch. Immer stärker. Jilly stellte den Scheibenwischer an und legte eine andere Weihnachts-CD ein.
Als sie Echo Summit, den höchsten Punkt des Highway, erreichte, steckte sie mitten in einem ausgewachsenen Schneesturm. Aber noch standen die Schilder nicht, die Schneeketten vorschrieben. Der Verkehr floss. Und Jillys Wagen hatte Allradantrieb. Es wurde dunkel, und automatisch schalteten sich ihre Scheinwerfer ein.
Erst nachdem sie kurz hinter Tahoe Village den Highway verlassen hatte,’ wurde es unheimlich. Aber sie verlor nicht die Nerven, jedenfalls nicht sofort.
Die Hütte, nach der sie suchte, gehörte Caitlin Bravo, der Mutter der drei einst berüchtigten Bravo-Söhne. Caitlin hatte Jilly den Weg genau beschrieben. Es gab eine Reihe von schmalen, kurvenreichen Straßen, die an Berghängen
entlangführten, aber eigentlich hätte es ein Kinderspiel sein müssen. Es wäre auch ein Kinderspiel gewesen bei Tageslicht und ohne den Schneesturm.
Jilly schaltete das Radio ein. Doch beim Versuch, einen Wetterbericht zu finden, wäre sie fast von der Straße abgekommen. Na ja, wozu brauchte sie überhaupt den Wetterbericht? Den hätte sie sich anhören sollen, bevor sie Sacramento verließ. Manchmal vergaß sie vor lauter Begeisterung, sich um wichtige Details zu kümmern.
„Dumm gelaufen“, murmelte Jilly und schaltete das Radio wieder aus, um sich auf die schmale Straße zu konzentrieren, die sich im Licht der Scheinwerfer durch einen dichten Wald aus Pinien und Fichten schlängelte.
Sie verpasste eine Abbiegung und bemerkte es erst fünf oder sechs Meilen später. Jilly
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