Magermilch
so weit war, haben Sie ihn durch Rufen und Gesten dazu gebracht, das Drahtseil loszulassen und sich zurückzulehnen, sodass Gurt und Klettersteigset mit seinem gesamten Gewicht belastet wurden. Und was ist da wohl passiert, Himmelherrgott?«
Es war Fanni anzusehen, dass sie es wusste. Denn der Absturz war offenbar genau so geschehen, wie sie es Sprudel auseinandergesetzt hatte.
Willi war – Schuhsohlen auf Reibung, Fäuste ums Fixseil geschlossen – im Quergang gewesen, wo ihn irgendetwas oder irgendjemand veranlasst hatte, die Hände von der Seilversicherung zu nehmen. Die Schlaufe an seinem Gurt, durch die das Klettersteigset geschlungen war, hatte der Belastung nicht standgehalten und riss. Aber wie hatte sie reißen können?
»Jemand«, Frankl blinzelte Fanni zu, »hat sich an Stolzers Gurt zu schaffen gemacht. Die Anseilschlaufe war eingeschnitten. Zwanzig, dreißig Kilo Belastung – und ratsch. Eine niederträchtige Mordtat. Eindeutig die Handschrift einer Frau.«
Fanni merkte, dass ihr Mund halb offen stand, und klappte ihn schnell zu.
Was staunst du so? Ist dir nicht schon am Geiersberg der Gedanke gekommen, Willis Gurt könnte manipuliert worden sein?
Aber dass jemand auf die Idee kommen könnte, ich hätte das getan! Fanni fand keine Worte.
Sprudel räusperte sich. »Ich weiß, Sie müssen in jede Richtung denken. Aber diese Theorie hier hat Löcher. Wie hätte Frau Rot an Stolzers Gurt kommen sollen, um ihn zu präparieren? Woher hätte sie wissen sollen, wann er im Klettergarten ist? Und wenn sie die Täterin wäre, warum hätte sie dann die Polizei rufen sollen?«
»Das hat sie ja gar nicht, Himmelkreuz«, schnauzte Frankl. »Sie hat nur ihren Freund angerufen, oder etwa nicht?«
Sprudel sank in sich zusammen.
»Werden Sie mich einsperren?«, fragte Fanni beherrscht.
»Ganz so weit sind wir noch nicht«, entgegnete Frankl. »Wie der Herr Sprudel richtig gesagt hat, müssen wir in jede Richtung denken und ermitteln. Und während wir das tun, werden Sie sich zu unserer Verfügung halten.« Auf Fannis irritierten Blick hin fügte er hinzu: »Das heißt im Lande bleiben, Kruzinesen.«
»Dann kann ich wohl jetzt gehen«, sagte Fanni trocken.
Frankl hatte begonnen, in sein Notizbuch zu schreiben. Er nickte zerstreut. Fanni schob ihren Stuhl zurück. Plötzlich sah Frankl auf. »Mit Herrn Sprudel habe ich noch ein Wörtchen zu reden.«
Sie war bereits eine Viertelstunde lang vor der Polizeiinspektion auf und ab gelaufen, als Sprudel herauskam. Er wirkte verstört. Stumm gingen sie auf die Kreuzung zu, warteten auf grünes Licht und querten die Straße.
Grübelnd kaute Fanni auf ihrer Unterlippe. An der Einfahrt zum Parkplatz blieb sie stehen. »Er hat dir die Leviten gelesen!«
»So könnte man es nennen«, antwortete Sprudel. »In Wahrheit hat er mir gedroht.«
»Gedroht?«
»Obwohl Frankl nur eine Stunde Zeit hatte, hat er seine Hausaufgaben gemacht. Er weiß, wer in den vergangenen Jahren bei Mordermittlungen die Polizei nicht immer gut aussehen ließ.«
»Und deshalb verbittet er sich jede Einmischung«, sagte Fanni schnippisch.
»Zumal du unter Verdacht stehst«, fügte Sprudel an.
»Und dich hat er beauftragt, mich an die Kette zu legen?«, fragte Fanni.
Sprudel nickte unglücklich.
»Damit er ungestört seine absurden Theorien aufbauen kann«, beschwerte sich Fanni und ging zu ihrem Wagen. »Ich fahre noch mal zum Klettergarten hinaus. Willi muss einen Grund gehabt haben, warum er das Drahtseil losließ. Und den will ich herausfinden.«
»Fanni«, rief Sprudel, »was willst du denn finden, was die Spurensicherung nicht längst entdeckt hat?«
»Wenn ich das wüsste, müsste ich ja nicht suchen«, gab Fanni verstockt zurück.
»Warte wenigstens, bis Marco zurück ist. Dann wird er den Fall übernehmen«, bat Sprudel.
»Wird er nicht«, konterte Fanni und sah Sprudel böse an. »Während du noch da drin warst«, sie deutete mit dem Daumen über die Schulter, »und dich zum Handlanger von diesem fluchenden Schwachkopf hast machen lassen, habe ich Marco über Handy angerufen.«
Wie zum Beweis zog sie das Mobiltelefon, das sie nach dem Anruf im Klettergarten in die Jackentasche gesteckt hatte, heraus und hielt es Sprudel vor die Nase.
»Das Seminar dauert vierzehn Tage. Täglich von neun bis zwei, manchmal sogar bis vier, sitzt Marco im Lehrsaal. Den Fall ›Willi Stolzer‹ bearbeitet Frankl. Marco sagt allerdings, dass er nach den Vorträgen immer noch für ein paar Stunden
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