Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
elektrischen
Vorahnungsbehauptung, aber Hauptbahnhof kam mir genauso esoterisch vor, deshalb
fragte ich einen Schaffner, was es damit auf sich hatte, und der sagte nur
»Ostbahnhof« und ging weiter, das sagte mir natürlich auch nichts, aber der Zug
hielt laut »Ihr Fahrplaner« auch im Bahnhof Friedrichstraße, das fand ich gut,
Bahnhof Friedrichstraße war ja nicht nur 1a-DDR-Scheiß, Bahnhof Friedrichstraße
war schon der Bahnhof gewesen, auf dem die Oma und die Kusine auf Emil gewartet
hatten, während Emil am Zoo ausgestiegen war, weil sie ihm sein Geld geklaut
hatten, daran erinnerte ich mich noch, das ganze Emil-und-die-Detektive-Ding
hatte mir als Kind immer gut gefallen, armer Emil, komplett beklaut, aber das
konnte mir nicht passieren, mein Geld war noch da und meine Tasche auch und
der Bahnhof Zoo konnte mich mal, ich hatte keine Lust auf den Bahnhof Zoo und
das ganze Prä- und Post-Kudamm-Elend, und langsam fragte ich mich auch, wieso
ich nicht früher auf die Idee gekommen war, mich mal ein bisschen damit zu
beschäftigen, wo ich jetzt eigentlich hinmusste, ein bisschen geistige Leere
zwischen Wittenberge und Nauen, nun gut, aber jetzt wurde es Zeit, den
Informationsturbo einzulegen, also schlug ich die
Adresse, die Ferdi mir am Telefon gegeben hatte, in meinem Stadtplan nach, ich
kannte die Straße nicht, Sophienstraße, die lag im Osten, in der Nähe vom Marx-Engels-Platz,
wie aus meinem alten Stadtplan hervorging, den ich die ganzen Jahre nicht
weggeworfen hatte, und bei dem der Westen noch rot und der Osten blaugrau und
dazwischen die Linie war, die die Mauer markierte.
Von der
aber nicht mehr viel da war. Wir gurkten, nachdem wir den Bahnhof Zoo verlassen
hatten, der nicht nur wegen Emil, Oma und Kusine, sondern auch wegen der Lage
des Marx-Engels-Platzes die falsche Wahl gewesen wäre, langsam durch den
Tiergarten und weiter in den Osten hinein und die Mauer war weg und das ganze
Westgesummse dann auch bald und das kam mir gerade recht, ich hatte ja nicht
umsonst Angst gehabt, gleich am Bahnhof Zoo in ein Déjà-vu-Ding reinzugeraten,
man kann ja nicht fünf Jahre lang in Hamburg Klapsmühle und Reha und Drogen-WG
gemacht haben und dann am Bahnhof Zoo aufschlagen, als wenn nichts gewesen
wäre, dachte ich, und dann hielten wir auch schon im Bahnhof Friedrichstraße
und ich stieg aus und kaufte mir im nächsten Zeitungsgeschäft einen neuen
Stadtplan, aus dem auch gleich mal hervorging, dass der Marx-Engels-Platz jetzt
Hackescher Markt hieß.
Bis zum Hackeschen Markt war es nur eine
Station mit der S-Bahn und die Sophienstraße war nicht schwer zu finden. Sie
sah verdächtig nach Hamburg-Altona aus, die Sophienstraße, kleine alte Häuschen
mit zwei, drei Stockwerken, handtuchbreite Bürgersteige, Teestubengastroscheiß,
das war fast schon Ottensen, nun gut, ich wollte in das Berlin, das ich nicht
kannte, hier war es, und in einem von den
Ottensenhäusern war BummBumm Records untergebracht, da hätte genausogut Clean
Cut 1 dranstehen können, so altonamäßig sah das aus.
Ich rauchte erstmal eine, bevor ich klingelte.
12. Hosti Bros
»Charlie!«
Das Büro
von BummBumm Records erstreckte sich über eine ganze Etage des Hauses, und ganz
vorne saß gleich Ferdi an einem großen Schreibtisch, und er sprang auf und lief
um den Schreibtisch herum und breitete die Arme aus und drückte mich, als ich
hereinkam, was mich ein bisschen überraschte, ich konnte mich gar nicht daran
erinnern, dass wir so gute Freunde gewesen waren, irgendwie Freunde ja, und das
über zehn Jahre lang, bevor ich damals in die Klapse kam, und ja, wir hatten
auch mal zusammen in einer Band gespielt, Glitterschnitter, eine jener
Avantgardebands, wie sie in den frühen Achtzigern jeder mal gehabt hatte,
Raimund Schlagzeuger, Ferdi Bassist und ich hatte Trennschleifer und Bohrmaschine
bedient, das war bei Ausstellungseröffnungen und Avantgardefestivals ganz gut
angekommen, aber von irgendwelchen Knuddeleien war mir nichts mehr in Erinnerung,
vielleicht ist es das Alter, das ihn weich und sentimental macht, dachte ich,
als er mit ausgebreiteten Armen auf mich zustürmte, er war ja nicht mehr der
Jüngste, er war zwölf oder fünfzehn oder so Jahre älter als ich, demnach ging
er jetzt stramm auf die fünfzig zu, vielleicht auch schon drüber, eigentlich
unfassbar und man sah ihm das auch
nicht an und vielleicht sollte man auch nicht immer alles hinterfragen, dachte
ich, als er mich erst an sich drückte und dann von sich
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