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Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt

Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt

Titel: Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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kramte, als
mir noch etwas einfiel, was die Sache mit den Pillen vielleicht ersetzen
konnte, und ich fing einfach mal an zu weinen.
    Und das half dann auch ganz gut, so gut,
dass ich, noch heulend und schniefend, aufstehen und mich anziehen konnte, und
als ich angezogen war, wusch ich mir das Gesicht und ging zu Werners letztem
Frühstück vor der Supervision.
    »Ich wollte
schon Henning schicken«, sagte Werner, als ich in die Küche kam. Sie saßen alle
da und Henning, der heute mit dem Frühstücksdienst dran war, stand mit
dampfender Kaffeekanne, einer Blechkanne, wie man sie eigentlich nur von früher
aus Schullandheimen kannte, hinter Werner und goss ihm Kaffee ein, aber Werner
achtete nicht darauf und stieß ihn an und Henning schüttete etwas Kaffee
daneben und Werner sagte, ohne nachzudenken, »Pass doch auf!« und schob dann
aber doch nach einem Blick in Hennings Gesicht Gottseidank ein »Ah, war meine
Schuld!« nach, das war höchste Zeit gewesen, Henning war keiner, bei dem man
dabei sein will, wenn er mit einer großen Kanne heißen Kaffees in den Händen
die Fassung verliert. Werner war eindeutig nicht gut drauf, Supervision wohl
eins von den Dingen, auf die sich einer wie Werner nicht freute, umso
erstaunlicher, dass er sich überhaupt darauf eingelassen hatte, es musste wohl
schon schlimm um ihn stehen, aber das kümmerte hier keinen, stattdessen
starrten sie mich an, als ob ihnen niemals jemand gesagt hatte, dass man
andere Menschen nicht anstarrte, weil sich das nicht gehörte oder was weiß ich,
wahrscheinlich hatte ihnen das auch keiner gesagt.
    »Wie siehst
du denn aus«, sagte Werner. »Hast du geheult?«
    »Heuschnupfen«,
sagte ich. »Hatte über Nacht das Fenster auf, verdammte Birken.«
    »Birken? Im
April? Seit wann haben die im April was zu melden, die Birken?«
    »Wenn’s
nicht die Birken sind, dann sind’s die Schimmelpilzsporen.«
    »Aber die
kommen doch nicht durchs Fenster!«
    »Wer weiß,
Werner …!«
    »Na gut.«
Werner verlor die Lust an dem Quatsch. Ich setzte mich hin und köpfte ein Ei,
das vor meinem Frühstücksbrettchen stand. Es war weich. Ich setzte den oberen
Teil wieder drauf, damit es nicht so schlimm aussah, während Werner sagte:
»Passt auf, Leute, kein Streit mit Gudrun! Das ist nicht immer leicht, ich
weiß, aber kein Streit mit Gudrun!«
    Allgemeines
Seufzen und Augenrollen. Alle mochten Gudrun und kamen prima mit ihr klar, aber
das musste Werner ja nicht wissen.
    »Ich
verlass mich auf euch.«
    »Ist ja
gut«, sagte Astrid.
    »Und du,
Karl«, war er schon wieder bei mir, »du gehst Montag schön zum Bahnhof und
nimmst den Zug nach Uelzen, den ich dir rausgeschrieben habe, nicht den davor
und nicht den danach, die warten da auf dem Bahnhof auf dich.«
    »Krieg ich
hin, Werner.«
    »Und keine
Sperenzchen.«
    »Auf keinen
Fall.«
    »Und iss
ruhig mal was! Henning, gib ihm doch mal Kaffee!«
    Henning kam
zu mir und gab mir Kaffee. Das war auch irgendwie so eine Werner-Erfindung, bei
Werner reichte es nicht, dass einer die Pflicht hatte, den Tisch zu decken,
nein, bei Werner musste er dann auch noch den Kaffee einschenken, als ob es
darauf ankäme, das ganze Elend der Hamburger Gastroszene sogar noch ins eigene
Heim, ins ureigene Privatleben hineinzuverlängern, schön ist was anderes.
Henning kam also zu mir rüber und pladderte mir Kaffee in die Tasse. Samstags
gab’s immer das gute Geschirr, Tasse und Untertasse mit Dekor von der
Arbeiterwohlfahrt, das hatte ich Werner immer schon mal fragen wollen, wie er
da eigentlich rangekommen war.
    »Bist du
sicher, dass alles in Ordnung ist?«
    »Nein, Werner,
es ist nicht alles in Ordnung. Ich habe total Heuschnupfen und darf keine
Antihistamine nehmen, so sieht’s doch schon mal aus, die wollte Dr. Selge mir
nicht verschreiben.«
    »Kannst du
ja im Urlaub nochmal nach fragen«, sagte Werner. »Die können dir ja im St.
Magnus was verschreiben.«
    Ich glaubte
meinen Ohren nicht zu trauen: Werner, der gnadenlose Medikamentenfeind, als
Antihistaminpusher – er musste wirklich ausgebrannt sein, um so etwas über die
Lippen zu bringen.
    »Würde ich
sowieso nicht nehmen«, sagte ich. Das Gespräch nahm eine komische Wendung.
»Und wenn du sie mir persönlich hinhalten würdest, Werner.«
    Es gab ein
allgemeines Raunen. Astrid hob einen Teelöffel.
    »Könnt ihr
mal mit der Machoscheiße aufhören, das ist ja widerlich. Ich meine, was ist
denn mit euch los?«
    »Werner,
ich hab dich lieb«, sagte ich aus einem plötzlichen,

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