Magma
sichtlich nervös. Weitaus nervöser jedenfalls als Ella, der der ganze Medienrummel nichts mehr ausmachte. Nicht nach all dem, was sie in den letzten Wochen und Monaten erlebt hatte. Während sich Sarah abpudern und immer wieder versichern ließ, wie gut sie aussähe, blickte Ella gedankenverloren auf das Meer hinaus. Von ferne mischte sich ein dunkler Fleck unter die Möwen, steuerte in ihre Richtung und wurde rasch größer. Ein Hubschrauber. Jetzt war auch deutlich das Knattern der Rotoren zu hören. In niedrigem Flug schwebte er heran, vorbei an all den Last- und Forschungsschiffen, die sich in immer größer werdender Zahl über der Challenger-Tiefe versammelt hatten. Das Geräusch plötzlicher Aktivität zwang Ella, sich umzudrehen. Die Mitglieder der Fernsehteams begaben sich auf ihren Posten. Sarah Connelly blickte auf die Uhr, stand auf und besprach sich kurz mit ihrem Regisseur. Sie strich sich durch die Haare und kam dann zu Ella herüber. Der Augenblick der Wahrheit schien gekommen zu sein.
»Wie fühlen Sie sich?«, begann sie das Gespräch in diesem locker unverfänglichen Ton, den man von Menschen gewohnt ist, die in der Öffentlichkeit stehen. »Bereit für ein kleines Interview?«
Ella, die wusste, was für eine Untertreibung das war, lächelte zurück. »Wenn Sie es sind?«
Sarah zögerte kurz, dann lachte sie. Mit einem Handzeichen gab sie ihren Kollegen und auch den anderen Teams zu verstehen, dass es jetzt losgehen würde. Sie winkte auch Helène Kowarski zu, die sich etwas abseits mit Jan unterhielt. Diese stand Arm in Arm mit Colin, der den Kopf immer noch mit einem dicken Verband umwickelt hatte. Die junge Astrophysikerin hatte bereits angekündigt, dass sie wieder nach Effelsberg zurückkehren wolle. Ob die Beziehung der beiden von Dauer sein würde, würde die Zukunft zeigen.
Helène verabschiedete sich von ihnen und machte sich auf den Weg. Das Interview würde in aller Welt ausgestrahlt werden. Es war ein Medienereignis, vergleichbar der Mondlandung oder dem Boxkampf von Muhammad Ali gegen George Foreman. Gewiss, es war viel berichtet worden, über die Hintergründe, die zu der Katastrophe geführt hatten, über die spektakuläre Rettungsaktion und über die Personen, die daran beteiligt waren. Die Zeitschriften und Nachrichten waren voller Spekulationen und Mutmaßungen gewesen, aber nie hatte man dabei einen von den maßgeblichen Menschen zu Gesicht bekommen. Den Menschen, die wirklich hinter der Entdeckung und Aufklärung des Rätsels um die Steinkugeln steckten.
Das sollte sich heute ändern.
Die Welt wartete darauf, endlich das Gesicht zu sehen, dem sie ihre Rettung verdankte. Die Sendung sollte an eine viertelstündige Rede des Präsidenten angehängt werden, die um zwanzig Uhr Ortszeit aus dem Weißen Haus ausgestrahlt wurde. Dies wiederum bedeutete, dass sie hier kurz nach fünfzehn Uhr auf Sendung gehen würden.
Der Zeitpunkt war gekommen.
Ella hörte das Surren der Kameras, die ab jetzt jedes Wort, jede Bewegung und jede ihrer Reaktionen einfangen würden. Sarah Connelly blickte zu ihrem Regisseur hinüber, der das Ende der Präsidentenrede abwartete. Auf einen Monitor blickend, begann er mit den Fingern von zehn bis eins herunterzuzählen. Als er das Zeichen für null gab, hob Sarah das Mikrofon.
»Mr. und Mrs.President, guten Abend sehr verehrte Zuschauer überall an den Fernsehgeräten. Herzlich willkommen zu einer Sondersendung direkt von dem Ort, der in den letzten Wochen ins Zentrum des Medieninteresses gerückt ist. Ich stehe hier an Bord der
Yokosuka,
einem japanischen Forschungsschiff, das sich direkt über der Challenger-Tiefe befindet. Einem Ort, mitten im Pazifischen Ozean, der bis vor kurzem nur denjenigen unter Ihnen ein Begriff war, die sich für Tiefseeforschung interessieren. An meiner Seite begrüße ich Helène Kowarski, die Leiterin der gleichnamigen Labors, und Dr.Ella Jordan, die Frau, der wir unser aller Rettung verdanken. Madame Kowarski, können Sie uns etwas über den derzeitigen Stand der Rettungsaktion sagen?«
»Sehr gern.« Helène trat etwas zur Seite, damit die Kameras das Panorama der Last- und Forschungsschiffe einfangen konnten. Die vielen Fahrzeuge ließen diesen sonst menschenleeren Meeresabschnitt aussehen wie einen belebten Containerhafen. Zwischen den stählernen Leibern kreuzten kleinere Boote, die das Wasser aufwirbelten und weiße Schaumkronen hinter sich herzogen, während blinkende Positionsbojen verhinderten, dass sich die
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