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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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uns beim Erscheinen von Mater Meta Pamela befiel. Ihr bodenlanges Gewand war so schwarz wie Rabengefieder. Ein Schleier bedeckte ihr Gesicht. Er war so spinnwebenleicht, dass ihr Atem ihn bewegte. Hinter dem dünnen Gewebe waren die Augen dunkle Schatten, mit denen sie uns ausgiebig betrachtete, wobei sie den Kopf ein wenig schief hielt, wie das die Raben tun, wenn sie einen Gegenstand prüfend beäugen. Hätte sie die Arme ausgebreitet, um mit schlappem Flügelschlag davonzufliegen, es hätte uns nicht gewundert. Alles an ihr erschien mir alt. Sie war der erste alte Erwachsene, dem ich begegnet bin. Unsere Lehrer waren zwar alle viel älter als wir, aber sie waren sichtlich kinderjung.
    Warum das so war, sollte ich schon bald erfahren, denn ich war eines von den drei Mädchen, die Mater Meta Pamela auserwählte. Damit widerfuhr meinem Leben eine so einschneidende Wende, wie sie manchen Insekten zuteilwird, bei denen sich die Raupe verpuppt, um sich in einen Schmetterling zu verwandeln. Nur verhielt es sich in meinem Fall umgekehrt. Mir war es beschieden, meine bunten Flügel abzuwerfen, um zum Insekt zu werden. Aber davon verspürte ich zunächst noch nichts, denn Großes ereignet sich so schlicht wie das Rieseln des Wassers, das Wandern der Wolken und das Wachsen der Bäume.
    Das Monasterium liegt auf einer felsigen Halbinsel, die sich wie eine Knochenhand ins Meer krallt. Die Mauern der festungsartigen Oberstadt stürzen an drei Seiten steil in die schäumende See. Die dem Land zugewandte Fassade ist von hohen Zypressen verdeckt. Wer das eisenbeschlagene Tor passiert, betritt eine Welt, die sich von ihrer Umgebung so klar absetzt wie die Erde von dem darüber liegenden Himmel. Hier regieren die Reifen, die sich von den übrigen Bewohnern der Insel unterscheiden wie die Käfer von den Schmetterlingen. Hagere Gestalten mit verschleierten Köpfen.
    »Das Schöne ist der Glanz des Wahren«, lehrten sie. Dabei erschienen sie mir so hässlich wie Fledermäuse. Und wie widerspruchsvoll sie waren. Sie überhäuften uns mit Aufgaben und verkündeten: »Anschauen ist wichtiger als lernen. Je länger das Auge auf einem Gegenstand ruht, desto mehr gibt er von seinem Geheimnis preis.«
    Alles in dieser Oberstadt erschien mir fremd und düster. Ich fühlte mich wie ein Kolibri unter Graugänsen.
    Wie gerne wäre ich eine Blühende geblieben, um mit meinen Spielkameraden auf einer Plantage die Tiere und Pflanzen zu versorgen. Danach warten dann andere interessante Tätigkeiten, vom Korallingießen über die Keimkraftgewinnung bis zum Bootsführer und Bautenplaner, im Wechsel von drei, vier Jahren immer wieder neue, aufregende Aufgaben.
    Mein erster Eindruck von der Welt der Reifen war erschreckend, obwohl mich alle liebevoll behandelten. Zum Glück gab es da noch andere frisch Auserwählte, die sich so verloren fühlten wie ich. Zudem fanden wir nur wenig Zeit, unserem verlorenen Paradies nachzutrauern. Der Unterricht erforderte unsere ganze Aufmerksamkeit. Er begann bei Sonnenaufgang und endete mit der Nacht.
    »Warum seid Ihr so anders als wir?«, wollte ich wissen.
    »Wir sind nicht anders, wir sind reifer«, belehrte mich Mater Nicarda, eine knochige Alte von behäbigem Temperament. Ihre alte Stimme klang freundlich, aber verwirrte mich bis auf den Grund meiner Seele.
    An der Stirnwand der Großen Halle hing ein Bild, das einen Menschen zeigte, dem Haare im Gesicht wuchsen. Ich fand das sehr beeindruckend und fragte Mater Nicarda: »Werde ich auch einmal so aussehen wie dieser Löwenmensch?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Weil er ein Mann ist, und du wirst einmal eine Frau sein.«
    Eine Frau sein – dieser Satz ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Was hatte das zu bedeuten? Natürlich wusste ich, dass es zwei Geschlechter gab, aber diesem Unterschied hatte ich bisher keine besondere Bedeutung beigemessen. So wie es Blonde und Dunkle gab, die ihr Haar offen oder als Zopf trugen, so hatten eben manche Kinder ein Schwänzchen, wo andere einen Schlitz hatten.
    Schade, dachte ich, dass ich nicht so werden kann wie er. So wie Mater Meta Nicarda wollte ich auf keinen Fall werden. Sie erschien mir schrecklich alt.
    Während wir über die Innenhöfe und durch die engen Gassen der Oberstadt wanderten, der Unterricht erfolgte im Laufen, erklärte sie uns:
    »Alles fließt. Der gesamte Kosmos einschließlich unserer Leiber befindet sich in ununterbrochenem Wandel. Wir Menschen aber brauchen einen ruhenden Pol im Strom der

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