Wir erklären den Frieden! (German Edition)
VORWORT DER
HERAUSGEBER
Mit diesem Gespräch zwischen Stéphane Hessel und Tendzin Gyatsho, dem 14. Dalai Lama, Linienhalter einer Tradition des tibetischen Buddhismus, die bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht, möchten wir einem möglichst breiten Publikum vermitteln, dass die Rückkehr des Geistes weltweit über unsere Zukunft entscheiden wird. Geist – ist dieses Wort nicht anstößig geworden, seit Geld an die Spitze der menschlichen Werteskala gerückt ist? Nicht umsonst wies Samdhong Rinpoche, ehemaliger Ministerpräsident der tibetischen Exilregierung und Sondergesandter des Dalai Lama, bei der Trauerfeier von Václav Havel darauf hin, dass aus ebendiesem Grund niemand seine Stimme gegen China zu erheben wage, und sei es nur, um eine Frage zu stellen. Überall auf der Welt regierten Angst und Gier.
Befreien wir den Begriff des »Fortschritts« aus der rein materiellen Umklammerung, bringen wir ihn mit dem Geist in Verbindung. Hier soll vom Fortschritt des Geistes die Rede sein. Des Geistes, den jeder von uns in sich trägt, der allen Menschen eigen ist, ob gläubig oder nicht gläubig, wie der Dalai Lama sagt. Dieser Geist ist Verheißung und Verpflichtung zugleich, er prägt das Leben in dem Maße, in dem er ausgebildet und gestärkt wird.
Der Stein kam am 15. August 2011 in Toulouse ins Rollen, als der Dalai Lama seinen Vortrag über die »Kunst des Glücklichseins« hielt und Stéphane Hessels ätherischer Körper auf die erdige Energie des Redners traf. »Nun sind wir zwei Dämonen, und zwei sind stärker als einer allein!«, rief das tibetische Oberhaupt, lachend hatte er das Wort zitiert, mit dem die chinesische Regierung ihn bezeichnet. In die Rolle des »Dämons« ist Stéphane Hessel während seines langen Lebens mehrfach geschlüpft, früher, als er gegen die Nazis und heute, wenn er gegen die Diktatur des Geldes kämpft, wie sein Aufruf Empört Euch! belegt. Vier Monate später nahmen die beiden in Prag ihren Dialog wieder auf, anlässlich einer Veranstaltung zum Internationalen Tag der Menschenrechte, die der todkranke Václav Havel zu Ehren von Liu Xiaobo einberufen hatte. Der chinesische Dissident, 2010 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, sitzt bis heute in Haft. In Prag wollte man sondieren, ob sich seit dem 10. Dezember 1948, als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von den Vereinten Nationen im Pariser Palais de Chaillot verabschiedet wurde, neue allgemeingültige Werte herauskristallisiert hatten. Und ob der geistige Fortschritt, der damals keine Erwähnung fand, neben dem »wissenschaftlichen Fortschritt« in den Artikel 27 aufgenommen werden sollte.
Allein dieser Austausch zwischen dem unbeugsamen Laizisten und dem geistlichen Oberhaupt, jüngste Wiedergeburt einer langen Reihe von Dalai Lamas, deutet auf eine Zeitenwende hin. Wir haben sie schon lange herbeigesehnt. Seit 1993 – drei Jahre vor unserer Verlagsgründung – engagieren wir uns für Tibet. Der Dalai Lama war von dem achtzehn Jahre älteren Mann »ohne Stock« fasziniert, der ein Leben lang für die Einhaltung der Menschenrechte kämpfte und in dessen Gegenwart er sich selbst »ungeheuer jung« vorkam. Während der große alte Mann das Zusammentreffen mit seiner »ersten, einzigen Heiligkeit« nutzte, um nach der Erforschung buddhistischer Methoden durch westliche Neurowissenschaftler zu fragen: den messbaren Auswirkungen von Meditation, Innenschau, Klartraum auf unser körperliches und geistiges Wohlbefinden. Gekrönt wurde die Begegnung durch gegenseitige Empathie, festen Händedruck und den traditionellen Stirn-an-Stirn-Gruß.
Im Lauf des Gesprächs wurde deutlich, dass der kulturelle Genozid, den die chinesische Regierung am tibetischen Volk begeht, tatsächlich ein Genozid am grundlegendsten, universellsten Gut des Menschen ist, nämlich am Geist. Seit 1990 hat die Bewegung der Gewaltlosigkeit dank hier erwähnter Führungspersönlichkeiten wie Michail Gorbatschow, Václav Havel, Nelson Mandela oder Desmond Tutu enorm an Terrain gewonnen, ganz im Sinne der Vordenker Martin Luther King und – allen voran – Mohandas Gandhi. Das zeugt ganz klar von einem Neuaufbruch, der überall auf der Welt erfolgt, auch wenn er mancherorts größere Opfer fordert, wie jenseits der Himalaya-Barriere, dort finden immer wieder Selbstverbrennungen statt, um diese Kultur der Entwicklung innerer Werte zu verteidigen.
Fehlte nur noch der großzügige Einsatz von Stéphane Hessel, um den Empörten weltweit Schwung zu
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