Notizen aus Homs (German Edition)
Dies ist ein Dokument, kein literarisches Werk. Es handelt sich um die – treuestmögliche – Transkription zweier Notizhefte, die ich auf einer heimlichen Syrienreise im Januar dieses Jahres geführt habe. Eigentlich waren die Hefte als Vorlage für die Artikel gedacht, die ich nach meiner Rückkehr verfasst habe. Aber in den langen Phasen des Ausharrens oder der Untätigkeit, den Zeitspannen, in denen ich während der Gespräche auf die Übersetzung wartete, und auch aufgrund einer gewissen fiebrigen Ungeduld, die das Erlebte sofort in Geschriebenes verwandeln möchte, wurden sie immer umfangreicher. Das macht ihre Veröffentlichung möglich. Was diese rechtfertigt, ist etwas ganz anderes: Die Tatsache, dass sie Bericht erstatten über einen kurzen und bereits verschwundenen Moment, der quasi ohne Zeugen von außen stattgefunden hat, die letzten Tage der Erhebung eines Teils der Stadt Homs gegen das Regime von Baschar al-Assad, unmittelbar bevor diese in einem Blutbad ertränkt wurde, das, während ich diese Zeilen schreibe, noch andauert.
Ich hätte diesen Text gern eins zu eins in seiner Rohfassung veröffentlicht. Aber einige Passagen waren aufgrund der Umstände, unter denen ich sie notiert hatte, zu wirr oder zu fragmentarisch und mussten neu geschrieben werden. An anderen Stellen war das Gedächtnis versucht, Ungenauigkeiten zu verbessern. Doch mit Ausnahme der Fußnoten und der notwendigen Erklärungen und Kommentare, die ich kursiv gesetzt habe, habe ich mich bemüht, nichts hinzuzufügen.
Die syrische Regierung hat ausländischen Journalisten bekanntlich so gut wie untersagt, auf ihrem Gebiet zu arbeiten. Die wenigen, die ein Pressevisum erhalten, werden sorgfältig abgeschirmt und überwacht, in ihrer Bewegungsfreiheit und den Möglichkeiten, gewöhnliche Syrer zu treffen, eingeschränkt und allen möglichen Manipulationen und Provokationen ausgesetzt – mitunter auch tödlichen wie der, welche den französischen Reporter Gilles Jacquier das Leben gekostet hat. Manchen ist es gelungen, diese Einschränkungen zu umgehen, sei es, indem sie mit einem Touristenvisum einreisten und dann vor den Überwachungsorganen »untertauchten«, sei es, indem sie mit Unterstützung der Freien Syrischen Armee illegal über die Grenze kamen, so wie auch ich es zusammen mit dem Fotografen Mani gemacht habe. Wie die letzten Wochen gezeigt haben, sind auch bei diesem Vorgehen die Risiken nicht unerheblich.
Die Idee zu dieser Reportage kam mir im Dezember 2011 , nach der Rückkehr meiner Freundin Manon Loizeau aus Homs, wo sie einen Dokumentarfilm gedreht hatte. Ich erzählte den Verantwortlichen der Zeitung Le Monde von meinen Plänen, sie nahmen das Projekt an und schlugen mir vor, mit Mani zusammenzuarbeiten. Dieser hatte im Oktober und November 2011 schon einmal über einen Monat in Syrien verbracht und eine erste Serie von – zu der Zeit so noch nicht gesehenen – Fotos veröffentlicht. Dass wir so schnell und relativ einfach nach Syrien einreisen und in Homs so frei arbeiten konnten, verdanken wir seinen Kontakten und seiner Ortskenntnis. Da es so gut wie unmöglich war, vor Ort einen Dolmetscher zu finden, hat Mani, der perfekt Arabisch spricht, auch die Mehrzahl der Gespräche für mich übersetzt. Unsere Reportage, Text und Fotos, ist vom 14. bis 18. Februar in fünf Teilen in Le Monde erschienen.
Mani tritt in diesen Heften natürlich regelmäßig in Erscheinung. Aus Gründen der Tarnung hatten wir uns beide »Decknamen« gegeben (meiner war Abu Emir), und ich behalte hier den Namen bei, den er sich ausgesucht hatte: Raed. Ebenso tauchen auch die meisten unserer syrischen Gesprächspartner unter Pseudonym auf, entweder unter dem, das sie selbst gewählt haben, oder unter einem von mir erfundenen. Die jenigen, die unter ihrem richtigen Namen vorkommen, haben dies ausdrücklich gestattet. Ich veröffentliche im Übrigen nicht die Namen der Menschen, die ich verwundet oder tot gesehen habe, aus Furcht vor möglichen Repressionen gegen sie oder ihre überlebenden Angehörigen.
Diese Reportage wäre ohne das Vertrauen und die Unterstützung von Le Monde nicht möglich gewesen. Ich möchte allen bei der Zeitung, die an dem Projekt mitgearbeitet haben, danken, insbesondere dem stellvertretenden Redaktionsleiter Serge Michel und dem Chef der Auslandsredaktion Gilles Paris. Schließlich möchte ich den zahlreichen Syrern, zivilen Kämpfern wie Soldaten der Freien Armee, die uns – spontan und oftmals unter
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