Magnolia Steel – Hexennebel
behalte. Das Wetter ist viel zu schlecht. Es könnte Verluste geben, wenn ich sie fliegen ließe!«
Magnolia reckte den Hals. Ihre Tante sah ehrlich besorgt aus. Sie traute einer Hallig bei Sturm nicht. Sicher würde sie wollen, dass ihr Lämmchen nach Hause kam.
»Du willst sie über Nacht bei dir behalten?«, fragte Linette ungläubig.
Magnolia lächelte breit.
»Was heißt wollen? Ich muss! Es sind welche darunter, die nicht flugtauglich sind.«
Tante Linette war für einen Moment still, dann brach es aus ihr heraus. »Du Ärmste, dass du dir so etwas zumutest! Das kann dir niemand hoch genug anrechnen. Eine Horde Teenager, und dabei ist dir dein Schlaf doch heilig!«
»Pädagogik verlangt Opfer«, seufzte Runa.
Linette senkte die Stimme. »Du trennst sie doch hoffentlich? Es sind schließlich auch ein paar Jungen darunter …«
Magnolia glaubte, nicht recht zu hören. »Wenn hier jemand Opfer bringt, dann doch wohl wir«, zischte sie in Jörnas Richtung.
Es war traurig. Aber die anderen Hexen reagierten genauso wie ihre Tante. Runa wurde mit Dank für ihre Fürsorge förmlich überschüttet. Man lobte diese selbstlose Tat in den allerhöchsten Tönen. Es war unglaublich.
Nachdem sie den letzten Anruf getätigt hatte, war Runa mit sich mehr als zufrieden. Zum Abendbrot gab es für jeden eine harte Scheibe Brot mit Schmalz und dünnen Hagebuttentee, dann war es an der Zeit, ins Bett zu gehen.
»Die Jungen schlafen im Schulzimmer, die Mädchen in der guten Stube«, bestimmte Runa und ließ mit einem Fingerschnipp vier Strohsäcke auf dem Boden vor dem Kamin erscheinen. Ein weiterer Schnipp ihrer Finger, und auf den Strohsäcken lagen auch noch ein paar Wolldecken. Genauso machte sie es im Schulzimmer, in dem Nemo und Konrad schlafen sollten.
»Und jetzt schlaft schön. Morgen früh bringe ich euch höchstpersönlich ans Land, damit ihr rechtzeitig in eure Schulen kommt.« Mit diesen Worten blies Runa das Licht aus und ließ die verdutzten Junghexen zurück.
»Ich muss morgen zur ersten Stunde hin«, piepste Ronda.
»Nicht nur du«, murmelte Magnolia.
»Sie sitzt auf dem Flur«, sagte Jörna, die durch das Schlüsselloch geguckt hatte.
»Das ist nicht dein Ernst, oder?« Magnolia schob ihre Freundin beiseite. Tatsächlich, Runa hatte es sich mit ein paar Decken in einem Schaukelstuhl bequem gemacht, und es sah nicht danach aus, als ob sie den Platz vor morgen früh verlassen würde.
»Nicht, dass ich vorhätte, nachts im Haus herumzugeistern«, sagteMagnolia. »Aber wenn ich weiß, dass ich nicht rausdarf, muss ich ständig zum Klo.«
»Eine Form der Klaustrophobie«, sagte Eugenie und wickelte sich in ihre Decke. »Das muss behandelt werden.«
»Quatsch«, schnaubte Magnolia. Zaghaft steckte sie den Kopf aus der Tür. Sofort blitzte Runa sie an. »Was ist? Willst du schon fensterln gehen?«
»Was?«
»Na, zu den Jungs schleichen!«
Magnolia wurde rot. »Natürlich nicht. Ich muss bloß mal zur Toilette.«
»Ach, du willst auf den Topf!« Runa sah auf die Standuhr und notierte sich die Zeit auf einem Zettel, den sie neben sich liegen hatte.
Drei Minuten später war Magnolia zurück und ging wortlos an Runa vorbei in die gute Stube. Sie schloss die Tür und legte sich neben Jörna auf ihren Strohsack. Der Wind strich noch immer um das Haus, rüttelte an den Fensterläden und pfiff durch die Ritzen. Magnolia wickelte sich fester in ihre dünne Wolldecke und hörte auf die Geräusche des Meeres. Plötzlich horchte sie auf. Sie wusste nicht, ob oder wie lange sie geschlafen hatte, aber irgendetwas war anders. In das Geräusch von Wind und Wellen mischten sich leise Stimmen. Eine davon gehörte eindeutig Runa, sie klang ungeduldig. Verwundert setzte Magnolia sich auf. Die Stimmen kamen von draußen. Das war mehr als sonderbar, denn wer kam bei diesem Sturm auf die Hallig, um sich mitten in der Nacht mit Runa zu unterhalten?
Neugierig stand Magnolia auf. Sie wollte die anderen nicht wecken und schlich so leise wie möglich zur Tür. Vorsichtig spähte sie auf den Flur, Runas Schaukelstuhl war leer. Ein kalter Wind strich über den festgetretenen Lehmboden und ließ Magnolia trotz der dicken Socken frösteln. Kein Wunder, denn die Haustür stand einen Spaltweit offen. Magnolia schlich zur Tür und warf einen Blick hinaus. Es war dunkel, und das Wasser reichte noch immer bis an den Warfthügel heran. Aber der Sturm hatte die dichte Wolkendecke aufgerissen, und vereinzelt blinzelten hier und da ein
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