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Magnolienschlaf - Roman

Magnolienschlaf - Roman

Titel: Magnolienschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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dunkel, als wohne seit langem niemand mehr dort.
    Jelisaweta dreht sich zögernd um, da ist nichts, wassie hält oder anzieht, alles ist fremd und fern und weit weg von jeglichem, das in ihre Erwartungen hätte passen können. Das
     Gefühl, am falschen Ort zu sein, überkommt sie, eine Enttäuschung, als hätte sie stundenlang vor dem Kino angestanden, um
     dann zu sehen, dass statt des angekündigten Films ein anderer gezeigt wird. Also geht sie los, zurück Richtung Landstraße,
     mit Blei in den Schuhen; ihre Schritte sind schwerer noch als die, mit denen sie hergekommen ist, dabei sollte es eigentlich
     umgekehrt sein.
    Ein Knarren lässt Jelisaweta innehalten, sie bleibt stehen und legt die Hand über die Augen, blinzelt. Aus der graugestrichenen
     Tür eines Hauses, das wie ein Schuppen aussieht, ist eine Frau getreten und ruft Jelisaweta etwas zu. Sie ist alt, sehr alt,
     und stützt sich beim Näherkommen auf einen Stock. Immer wieder bleibt sie stehen, bannt dabei Jelisaweta mit ihrem Blick,
     der sich gleichsam festfrisst, bis sie schließlich so nahe vor ihr steht, dass Jelisaweta den Tropfen sieht, der unter ihrer
     Nasenspitze schwankt. Dann, unvermittelt, geht ein Leuchten durch das alte Gesicht, und ehe Jelisaweta zurückweichen kann,
     hat die Frau sie gepackt und umarmt, ein muffiger, säuerlicher Geruch steigt aus ihrer Strickjacke auf. »Dass es dir gutgeht,
     dass es dir gutgeht.« Die Hand reibt immerfort über Jelisawetas Rücken, als suche sie, ein Kind zu besänftigen.
    »Ich … hören Sie, ich …« Jelisaweta versucht, sich aus der Umklammerung zu befreien. Sie schielt nach dem Tropfen und stellt
     mit Erleichterung fest, dass er noch immer unter der Nase der alten Frau hängt.
    »O Ewa, dass es dir gutgeht …«
    Jäh windet sich Jelisaweta aus dem Arm, der den fremden Geruch ausströmt, und weicht einen Schritt zurück. Ewa. Das ist Babkas
     Name. »Sie haben Ewa gekannt?«
    Der Blick der anderen windet sich, schlängelt sich zu Boden. Sie bewegt ihren Körper, anscheinend planlos, als könne sie sich
     nicht entscheiden, wohin sie gehen will. »Es … es tut mir leid, ich …« Sie wendet den Kopf jetzt brüsk nach rechts. »Versteh
     doch, was hätte ich denn tun sollen?«
    »Wenn Sie Ewa gekannt haben – also hören Sie, ich bin ihre Enkeltochter, dann haben Sie vielleicht auch meinen Großvater gekannt?«
    »Jetzt ist ja alles wieder gut, jaja.« Ihr Kopf wippt zustimmend. »Es ist alles wieder gut, Ewa.«
    »Was machst du denn?« Eine jüngere Frau kommt aus der noch offen stehenden grauen Tür. Rasch nähert sie sich der Alten und
     packt sie am Arm. Sie guckt gequält, wie eingefroren, als bereite ihr schon der karge Gruß, den sie Jelisaweta zunickt, mehr
     Anstrengung, als sie aufzubringen imstande sei. »Lassen Sie sie. Sie weiß nicht, was sie redet. Sie ist alt.«
    Reglos schaut Jelisaweta zu, wie die Jüngere die alte Frau mit sich zieht, und fängt noch einen letzten, verschreckten Blick
     der Alten auf. Als sie endlich die Hand heben und den beiden folgen kann, sind sie schon hinter der sich schließenden Tür
     verschwunden. Zögernd bleibt Jelisaweta stehen. Soll sie klopfen? Fragen? Suchen? Mutlos scharrt sie mit dem Fuß im Straßenstaub,
     kickt ein paar Steine zur Seite und sieht erschrocken auf, als hätte sie etwas Verbotenes getan.
     
    Mit verschränkten Armen stößt Jelisaweta sich von der Türlaibung ab und tritt ans Küchenfenster, wirft einen Blick durch die
     Spanngardinen. Drei knorrige, winterkahle Obstbäume stehen auf einer Rasenfläche hinter dem Haus, an einem davon hängen noch
     orangegelbe Äpfel. Keine Blätter, nur Früchte, als hätte jemand die Weihnachtsdekoration vergessen. Jelisaweta stellt sich
     die weißhaarige Frau Hübner, auf einer Leiter stehend, inmitten der Zweige vor. Nein, die steigt auf keine Leiter mehr. Zerbrechlich
     und leise wirkt sie, ganz anders als die fuchtigen Weiber, die ihr im Krankenhaus in Smolensk untergekommen sind und die den
     lieben langen Tag zetern wie die Rohrspatzen, manche spucken sogar und schlagen um sich. Von denen haben sich auch etliche
     die Knochen gebrochen, die wenigsten stehen wieder auf. Wer einmal liegt, bleibt liegen. Mit der da oben hast du es besser
     getroffen, die sieht aus, als würde man kaum etwas von ihr mitbekommen, fast kann sie einem leidtun. Rasch schüttelt Jelisaweta
     den Kopf. Dafür wirst du nicht bezahlt, denkt sie, kannst froh sein, wenn sie nicht allzu bald mit dem Atmen

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