Magnolienschlaf - Roman
aufhört.
Jelisaweta wäscht sich die Hände im Spülbecken und schafft ihren Rucksack in die Küche, um die Proviantreste zu verstauen.
Angewidert zieht sie die Nase kraus. Es riecht muffig im Kühlschrank, krümelige Dreckränder verkleben die Glasborde, im Gemüsefach
liegen faulige Zwiebeln und sprießende, runzlige Kartoffelknollen in einer undefinierbaren Lake. Stöhnend weicht Jelisaweta
zurück und sinkt auf einen wackligen Hocker.
Ihr ist schlecht vor Müdigkeit und Ekel. Aber sie wird putzen, Bad und Küche zuerst, dann ihr Zimmer. Diebeste Möglichkeit, sich in einer Wohnung einzugewöhnen, ist, sie zu putzen, würde Olga Iwanowna sagen. Und vermutlich hätte
sie recht.
Jelisaweta sieht auf ihre Uhr, vergleicht sie mit der Wanduhr in der Diele, es ist gleich elf. Im Krankenhaus gibt es Mittagessen
um zwölf, es bleibt noch eine Stunde. Neben der Küche findet Jelisaweta das Wohnzimmer, über der Lehne eines Velourssofas
liegt eine gelbbraune Wolldecke. Nur ein paar Minuten, denkt Jelisaweta, greift sich ein Kissen und streckt sich auf dem Sofa
aus.
Ein Geräusch lässt ihren Schlaf aufbrechen wie eine Kruste, missmutig zieht Jelisaweta die Decke zurecht. Als sie spürt, dass
ihr Speichel im Schlaf das Kissen befeuchtet hat, schrickt sie auf. Sieht auf die Armbanduhr. Es ist Nachmittag, zwei Uhr
zwanzig. Benommen und dennoch hellwach, springt sie vom Sofa, lauscht einen Moment und wirft vorsichtshalber einen Blick in
die Küche, ehe sie wie ertappt nach oben eilt.
Wie von fern dringt ein Geräusch zu Wilhelmine. Irritiert schaut sie auf, muss eingenickt sein, noch immer hängt der fahle
Wintertag im Zimmer. Ihr ist eng um die Brust, ein vages Gefühl von Beklemmung, erst allmählich kehrt die Erinnerung an ihren
Sturz aus dem Bett wieder, an Karins Schimpftirade.
War das die Haustüre, die sie geweckt hat?
»Karin?«
Stille. Dann knarrt die Treppe kaum hörbar, die Tür öffnet sich und ein rundliches Gesicht, von dunklen,weich gelockten Haaren umrahmt, schaut herein. Wilhelmine versagt der Atem, ihr wird schlagartig kalt, unwillkürlich schüttelt
sie den Kopf, mit winzigen Bewegungen, mehr ein Zittern denn ein Staunen. »Kind …«
»Guten Tag. Ich bin Lisa, Sie haben geschlafen, wenn ich gekommen bin.«
Erst als das stämmige Mädchen schon vor Wilhelmines Bett steht, hat sie sich wieder gefasst, kann tief Luft holen, tastet
nach der Brille und setzt sie auf.
»Ach, Sie – sind die Pflegerin …« Erleichtert schüttelt sie die Bilder von sich und betrachtet die junge Frau, die verzagt
vor dem Bett steht und die Schultern hebt.
»Es tut mir leid, wenn es spät ist mit Essen jetzt. Ich …«
»Ach, das macht nichts. Ich habe doch erst gefrühstückt.«
»Wollen Sie jetzt etwas, Frau Hübner?«
Wilhelmine lächelt klein. »Hennemann, bitte.«
»Was?«
»Hennemann«, wiederholt Wilhelmine leise. »Ich heiße Hennemann. Wilhelmine Hennemann.«
»Ah, gut. Hat mir niemand gesagt. Wollen Sie Kaffee oder Tee vielleicht trinken?«
»Tee?« Wilhelmine wird wieder warm. »O ja, gerne, wenn es keine Umstände macht. Vielen Dank. Wissen Sie, ich will keinen Kaffee
trinken. Das Herz, wissen Sie.«
Die junge Frau nickt, sieht sich im Raum um. Wie ein Tier, denkt Wilhelmine, das sich in fremdem Revier bewegt.
»Sonst etwas?«
Das ist gewiss keine Deutsche, sie spricht mit Akzent, es gibt ja so viele Ausländer jetzt in Frankfurt. Aber wie diese Jugoslawin
sieht sie nicht aus, nein, das ist nicht so eine. Wilhelmine spürt Erleichterung.
»Sie schlafen hier im Haus, ja?« Wilhelmine ist unsicher, welche Antwort sie lieber hören mag.
Das Mädchen nickt nochmals, wendet sich zum Gehen.
»Im grünen Zimmer?«
»Da. Gegenüber.« Sie hat die Türklinke schon in der Hand und schaut Wilhelmine über die Schulter hinweg an.
»Es hat schon lange niemand mehr hier geschlafen, wissen Sie. Karin fährt immer abends weg. Sie hat ja auch so viel zu tun.
Wie heißen Sie, Fräulein?«
»Lisa. Ich koche Tee.« Dann ist sie verschwunden, sie muss strumpfsockig sein, man vernimmt ihre Schritte kaum, nur das Knarren
der Treppenstufen und bald darauf ein hohles Geräusch, also ist der Wasserkessel gegen das Ausgussbecken gestoßen, die Wasserleitung
rauscht. Dieses Mädchen zieht eine Schublade nach der anderen auf, Wilhelmine hört das Besteck darin scheppern, den dumpfen
Knall, wenn die Lade zugeschoben wird. Ach Gott, da kann sie doch den Tee nicht finden; Wilhelmine
Weitere Kostenlose Bücher