Magnolienschlaf - Roman

man nie wissen, was passiert.« Sie denkt an Babka, deren Blick immer
     ein winziges bisschen gesenkt war,was ihr etwas Verschlagenes gab, sobald sie unvermittelt aufsah. Sie denkt an Mama mit ihrem verschreckten Hundeblick und
     strafft unwillkürlich den Rücken. Was wäre gewesen, wenn?
    »Hast du ihr vielleicht kaputtes Leben gespart, kto snajet, wer weiß. Vielleicht hast du richtig gemacht.«
    Karin Hübner fällt ihr ein, Karin und Dieter. »Hast du Karin nie gesagt, dass du Tochter hast?«
    Sie wartet, doch Frau Hennemann antwortet nicht, vielleicht hat sie genickt oder den Kopf geschüttelt, Jelisaweta wagt nicht,
     noch einmal zu fragen. Erst nach einer Weile hört sie die Alte leise schnarchen und bemerkt, dass ganz allmählich Licht in
     den Raum dringt, noch ohne ihm Farbe zu geben. Jelisaweta spürt mit einem Mal die Müdigkeit der durchwachten Nacht wie einen
     Schmerz. Behutsam schiebt sie den Vorhang zur Seite, öffnet die Balkontür und tritt hinaus in die noch kühle Morgenluft.

Informationen zum Buch
    Ein kleines altes Haus am Rande der Großstadt und zwei Frauen, wie sie verschiedener nicht sein könnten: Wilhelmine und Jelisaweta
     trennt so viel mehr als 68 Lebensjahre. Jelisaweta ist 23 und für ein paar Wochen aus Smolensk nach Deutschland gekommen,
     um Wilhelmine zu pflegen, die seit einem Unfall an ihr Bett gefesselt ist. Doch was als scheinbar ideales Arrangement beginnt,
     gerät bald außer Kontrolle und wird zu einem Kleinkrieg, in dessen Verlauf die beiden Frauen sich auf grausam-weibliche Weise
     attackieren. Am Ende wird jede auf die Frage zurückgeworfen, was man mit sich anfängt, nachdem man der Wahrheit ins Auge gesehen
     hat. Denn Schuld wartet nicht auf Kläger, Sühne braucht keinen Richter, und der Krieg ist nicht vorbei, nicht für die Greisin
     und nicht für das Mädchen. Der Krieg hat gerade erst angefangen.

Informationen zur Autorin
    Eva Baronsky, 1968 geboren, lebt im Taunus. Für ihren ersten Roman »Herr Mozart wacht auf« (2010) erhielt sie den Förderpreis
     des Friedrich-Hölderlin-Preises der Stadt Bad Homburg v. d. Höhe. Im Frühjahr 2011 erschien ihr zweiter Roman »Magnolienschlaf«.