Magyria 01 - Das Herz des Schattens
neben ihm und spürte, wie die Wirkung von Hannas Blut allmählich nachließ. Seine Augen schmerzten und tränten, als würde er direkt in die Sonne blicken. Unter seinen Fußsohlen glühte das Licht, stärker, immer stärker …
Im Dämmerdunkel verschwammen die Gesichter der Schatten. Mattim erkannte Kunun an seinem Gang. Groß und schlank, der lange, schwarze Mantel flatterte im Wind hinter ihm her. Kalt und scharf wehte der Wind über die glatte Eisfläche und fuhr wie ein Messer durch die darauf liegende Schneeschicht.
»Halt!«, rief Farank. »Keinen Schritt weiter!«
Aus der Dunkelheit ertönte Kununs Antwort: »Wir kommen nach Hause.«
»Sie vergehen nicht vor mir«, flüsterte der König fassungslos. »Wie kann das sein? Ist mein Licht zu schwach?«
Über ihnen flogen die glühenden Pfeile, ohne auch nur einen Schatten zu treffen. Zischend versanken sie im Schnee.
»Es ist nicht zu schwach«, sagte Mattim und ergriff die Hand seines Vaters. »Es wird niemals zu schwach sein. Das Licht wird siegen. Alles, was die Finsternis je angerichtet hat, kann es heilen und wiedergutmachen.«
»Aber wie soll es denn siegen? Wie können wir sie aufhalten? Beim Licht, wie?« Farank packte Mattims Schultern, schüttelte ihn. »Was soll ich tun?«, rief er verzweifelt.
»Du musst das Eis schmelzen«, sagte Mattim. »Es gibt keine andere Möglichkeit.«
Der König starrte seinen Sohn an. »Das ist unmöglich. Niemand kann so viel Eis zum Schmelzen bringen.«
»Das Licht kann es«, widersprach der Prinz. »Komm, Vater, bitte!«
Sie sahen einander an. Mattims Augen, grau wie der Fluss, den er schon immer geliebt hatte … dunkel schien
Faranks Blick dagegen, dunkel, von Gram und Verzweiflung erfüllt.
»Bring das Eis zum Schmelzen. Ich wollte, ich könnte es. Tu es für mich, Vater. Bitte.«
Der König blickte an ihm vorbei auf das Heer, das auf sie zukam.
Kunun führte die Schatten an. Schnee lag auf seinen Schultern und färbte den schwarzen Mantel weiß. Schnee lag auf seinem dunklen Haar wie ein Diadem aus Eis.
»Nun hat es sich gezeigt, wer du bist, Mattim«, sagte er. »Ein Verräter vom Anfang bis zum Ende.«
»Wann wirst du je lernen, mir zu vertrauen, Kunun?«, fragte der Prinz. »Wusstest du nicht, dass irgendwann der Tag kommen würde, an dem das Licht vor dir und deinem Schattenheer in die Knie geht? Hast du nicht schon immer gewusst, dass ich dir den Sieg bringen würde? Ich bringe dir den König des Lichts, damit du mit ihm tun kannst, was du willst.«
Er drückte die Hand seines Vaters. Vertrau mir, bitte. Vertrau mir einfach.
» Mein Herr und König«, flüsterte er. »Knie nieder. Nur dieses einzige Mal.«
Fragend blickte Farank seinen jüngsten Sohn an. So viel Verwirrung und Verzweiflung, so viel Angst … und Mattim empfand seine eigene Ruhe wie etwas Fremdes, empfand seine Kraft wie etwas, das in ihm wohnte und schon immer dort gewohnt hatte, ohne dass er davon wusste. Alle Zuversicht und Hoffnung legte er in seinen Blick und schenkte sie seinem Vater. Das Band zwischen ihnen war noch da. Zwischen ihnen, nicht nur wie ein Lichtstrahl zwischen zwei Spiegeln, sondern als würde dieser Strahl tausendfach vervielfältigt, bis er stärker war als ein Seil, stärker als eine eiserne Kette.
Mattim führte die Hand des Königs nach unten. Farank leistete keinen Widerstand. Er ging in die Knie und legte
die Hände in den Schnee, wischte ihn zur Seite, bis er das Eis berührte, das glatte, dunkle Eis über dem Fluss, dick und hart und fest.
»Der Fluss gehört dem Licht«, sagte Mattim leise. »Seit unzähligen Generationen. Er ist bereit, wenn du es bist.«
Der König kniete immer noch, die Hände auf dem Eis.
»Du kapitulierst?«, fragte Kunun, seine Stimme scharf und kalt wie der Wind über dem Fluss. »Du kniest nieder? Vor mir?«
Farank hielt den Kopf gesenkt. Er starrte auf seine Hände, auf das dunkle Eis, auf seine Finger, auf die sich weiße Flocken legten, kalt, immer neue, immer mehr. Kälte, die sich vom Himmel auf den Fluss stürzte.
»Sind wir verloren?«, fragte der Monarch leise. »Bin ich verloren? Ist das Licht verloren? Wer bist du, Mattim?«
»Ich bin derjenige, der den Sieg bringt«, sagte der Prinz und legte seine Hand über die Hand seines Vaters. »Für Akink.«
Das Eis knackte. Unter den Händen des Königs entstand ein Riss, schmal nur, aber so tief, als hätte sich die Erde gespalten. Wasser lief über seine Finger. Farank beugte sich über den Spalt, und Mattim
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