Maigret - 70 - Maigret und der Messerstecher
luxuriösesten Wohnungen, die ich je gesehen habe … Sie kamen gerade vom Theater nach Hause und waren noch ganz beschwingt … Sie haben mich hinten in der Diele sitzen sehen. Das Dienstmädchen hat ihnen leise gesagt, wer ich bin.«
»Zieh dich aus …«
War es nicht doch gemütlicher hier? Er zog den Schlafanzug an, ging die Zähne putzen, und eine Viertelstunde später lag er, mit vom Grog leicht benebeltem Kopf, neben Madame Maigret im Bett.
»Schlaf gut«, sagte sie und näherte ihr Gesicht dem seinen.
Er gab ihr, wie seit so vielen Jahren, einen Kuss und murmelte:
»Schlaf gut …«
»Wie immer?«
Gemeint war:
›Soll ich dich wie immer um halb acht mit dem Kaffee wecken?‹
Das Ja, das er brummelte, war kaum zu vernehmen, denn der Schlaf überfiel ihn augenblicklich. Er hatte keine Träume, jedenfalls keine, an die er sich erinnern konnte. Und es war auch gleich Morgen.
Während er im Bett sitzend den Kaffee trank und seine Frau die Vorhänge öffnete, versuchte er, durch den Tüll der Scheibengardinen hinauszublicken.
»Regnet es immer noch?«
»Nein. Aber so, wie die Leute die Hände in den Taschen vergraben, haben wir höchstens dem Kalender nach Frühling.«
Es war der 19. März. Ein Mittwoch. Kaum hatte er den Morgenmantel übergestreift, ging er zum Telefon und rief im Krankenhaus Saint-Antoine an. Er hatte Mühe, sich mit jemandem von der Verwaltung verbinden zu lassen.
»Ja … Ich möchte, dass er in ein Einzelzimmer verlegt wird … Ja, ich weiß, dass er tot ist. Aber darum braucht man den Eltern doch nicht zuzumuten, dass sie ihn im Keller sehen müssen … Sie kommen in ein oder zwei Stunden. Sobald sie wieder weg sind, wird der Leichnam ins Gerichtsmedizinische Institut überführt … Ja … Keine Angst, die Familie bezahlt alles … Aber ja doch … Sie werden Formulare ausfüllen, so viel Sie wollen …«
Er setzte sich seiner Frau gegenüber, aß zwei Croissants, trank eine zweite Tasse Kaffee und sah gedankenverloren aus dem Fenster. Immer noch zogen tiefhängende Wolken vorüber, doch sie waren nicht mehr von diesem gefährlichen Grau wie am Vortag. Der nach wie vor heftige Wind rüttelte an den Ästen der Bäume.
»Hast du eine Idee, wer …«
»Du weißt doch, dass ich nie derartige Ideen habe …«
»Und wenn du welche hast, sie nicht verrätst … Findest du nicht auch, dass Doktor Pardon schlecht aussieht?«
»Ist dir das auch aufgefallen? Er wirkt völlig überarbeitet und ist dazu auch pessimistisch geworden. So wie gestern hat er bisher noch nie mit mir über seinen Beruf gesprochen.«
Um neun Uhr war er im Büro und rief das Polizeirevier des 11. Arrondissements an.
»Hier Maigret. Sind Sie es, Louvelle?«
Er hatte die Stimme erkannt.
»Sie rufen vermutlich wegen des Tonbands an?«
»Ja. Haben Sie es?«
»Demarie hat es mitgenommen und hierhergebracht. Ich dachte schon, es wäre im Regen kaputtgegangen, aber es funktioniert noch … Ich frage mich, warum der Junge diese Gespräche aufgenommen hat.«
»Können Sie mir den Apparat noch heute Vormittag rüberschicken?«
»Zusammen mit dem Bericht, der in einigen Minuten getippt sein wird …«
Post. Papierkram. Gestern Abend hatte er Pardon gegenüber verschwiegen, dass auch er im Papierkram schier erstickte.
Dann ging er zum Rapport ins Büro des Direktors. Er schilderte in wenigen Worten, was am Vorabend passiert war, da der Fall eine bekannte Familie betraf und womöglich Staub aufwirbeln würde.
In der Tat, als er in sein Büro zurückwollte, versperrte ihm eine Gruppe von Journalisten und Fotografen den Weg.
»Stimmt es, dass Sie einen Mord fast miterlebt haben?«
»Ich war nur ziemlich schnell am Tatort, weil ich mich zufällig in der Gegend befand.«
»Ist der Junge, dieser Antoine Batille, wirklich der Sohn des Parfumherstellers Batille?«
Wie kam es, dass die Presse schon unterrichtet war? Gab es eine undichte Stelle bei der Polizei?
»Die Concierge behauptet …«
»Welche Concierge?«
»Die vom Quai d’Anjou …«
Er hatte sie gar nicht zu Gesicht bekommen und ihr weder seinen Namen noch seine Funktion mitgeteilt. Bestimmt hatte das Dienstmädchen geplaudert.
»Sie haben doch den Eltern die Nachricht überbracht, nicht wahr?«
»Ja.«
»Wie haben sie es aufgenommen?«
»Wie ein Mann und eine Frau, die erfahren müssen, dass ihr Sohn umgebracht wurde …«
»Haben sie irgendeinen Verdacht?«
»Nein.«
»Glauben Sie, dass es einen politischen Hintergrund gibt?«
»Mit
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