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Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Titel: Maigret und der geheimnisvolle Kapitän Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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an zu sprechen! Er blickt sie sanft, freundlich an, so wie er jeden anblickt.
    Kapitän Joris war am 16. September aus Ouistreham, einem kleinen Hafenort zwischen Trouville und Cherbourg, verschwunden. Nun ist es Ende Oktober.
    Was ist während dieser sechs Wochen Abwesenheit mit ihm geschehen?
    »Er ist zu seiner Arbeit in der Schleuse gegangen, wie gewöhnlich, wenn die Flut kommt. Es war abends. Ich bin schlafengegangen. Am nächsten Morgen habe ich ihn nicht in seinem Zimmer gefunden.«
    Wegen des Nebels hat man dann geglaubt, daß Joris ins Wasser gestürzt sei. Man hat mit Stangen nach ihm gesucht. Dann hat man angenommen, daß er einfach abgehauen sei.
    »Lisieux! Drei Minuten Aufenthalt!«
    Maigret ging sich die Beine auf dem Bahnsteig vertreten, stopfte eine frische Pfeife. Seit Paris hatte er so viel geraucht, daß das Abteil völlig verqualmt war.
    »Einsteigen!«
    Julie hatte den Aufenthalt genutzt, um sich mit ihrer Puderquaste die Nasenspitze zu betupfen. Ihre Augen waren vom Weinen immer noch ein wenig gerötet.
    Es war seltsam! Es gab Augenblicke, in denen sie hübsch aussah, in denen sie fast vornehm schien. Dann wieder spürte man, ohne recht zu wissen warum, das einfältige kleine Bauernmädchen in ihr.
    Sie rückte die Perücke auf dem Kopf des Kapitäns zurecht, ihres Herrn , wie sie sagte, und sie sah mit einer Miene zu Maigret, die ihm andeuten sollte: Ist es nicht mein Recht, ihn zu umsorgen?
    Denn Joris hatte keine Angehörigen. Seit Jahren lebte er allein mit Julie, die er seine Gouvernante nannte.
    »Er hat mich wie seine Tochter behandelt …«
    Und er hatte keine Feinde! Keine Abenteuer! Keine Liebschaften!
    Ein Mann, der, nachdem er dreißig Jahre lang auf allen Meeren herumgefahren war, sich nicht mit der Untätigkeit hatte abfinden können. Also hatte er, obwohl pensioniert, um diesen Posten des Hafenmeisters in Ouistreham gebeten. Er hatte sich ein kleines Haus bauen lassen.
    Und eines schönen Abends, am 16. September, ist er von der Bildfläche verschwunden, um sechs Wochen später in diesem Zustand in Paris wieder aufzutauchen!
    Zu Julies Verwunderung trug er jetzt einen grauen Konfektionsanzug. Nie hatte sie ihn anders als in den Offizierskleidern der Marine gesehen!
    Sie war nervös, fühlte sich unbehaglich. Jedesmal, wenn sie den Kapitän anblickte, erschien auf ihrem Gesicht ein Ausdruck von Rührung und vager Furcht zugleich, ein Ausdruck von unüberwindbarer Angst. Er war es ganz eindeutig! Er war ihr Herr ! Und dennoch war er nicht mehr ganz derselbe!
    »Er wird wieder gesund werden, nicht wahr? Ich werde ihn pflegen.«
    Kreuz und quer rannen dicke Tropfen an den beschlagenen Fenstern herab. Durch das Rucken des Zuges wiegte Maigrets breites Gesicht sanft hin und her. Gemütlich saß er da und beobachtete unablässig die beiden Personen: Julie, die ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, daß man ebensogut dritter Klasse hätte reisen können, wie sie es gewöhnlich tat, und Joris, der erwachte, aber nur blinzelnd um sich blickte.
    Noch ein Aufenthalt in Caen. Danach kam Ouistreham.
    »Ein Dorf mit etwa tausend Einwohnern«, hatte ein Kollege, der in der Gegend geboren war, zu Maigret gesagt. »Der Hafen ist klein, aber bedeutsam wegen des Kanals, der die Stadt Caen mit dem Meer verbindet und den Schiffe von fünftausend Tonnen und mehr passieren.«
    Maigret versuchte nicht, sich ein Bild von dem Ort zu machen. Er wußte, daß man sich dabei stets täuschte. Er wartete ab, und sein Blick richtete sich wieder und wieder auf die Perücke, die die noch rosagefärbte Narbe verbarg.
    Bevor Kapitän Joris verschwunden war, hatte er kräftiges, tiefbraunes Haar gehabt, das nur an den Schläfen leicht ergraut war. Ein weiterer Grund zur Verzweiflung für Julie! Sie wollte diesen kahlen Schädel nicht sehen. Und jedesmal, wenn die Perücke verrutschte, rückte sie sie hastig wieder zurecht.
    »Nun, man hatte ihn töten wollen …«
    Man hatte auf ihn geschossen, das stand fest! Aber man hatte ihn auch in bemerkenswerter Art und Weise kuriert!
    Er war ohne Geld weggegangen, und man hatte ihn mit fünftausend Francs in der Tasche wiedergefunden.
    Das wurde ja immer schöner! Julie öffnete plötzlich ihre Handtasche.
    »Ich habe ganz vergessen, daß ich die Post von Monsieur mitgebracht habe.«
    Kaum der Rede wert. Prospekte von Firmen für Schiffszubehör. Eine Beitragsquittung der Kapitänsgewerkschaft der Handelsmarine. Ansichtskarten von Freunden, die noch Dienst taten, darunter eine

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