Maigret zögert
gerade mit Rene Tortu...
Da ist Ihnen die Idee gekommen, Ihr Vorhaben sozusagen ersatzweise an jemand anderem zu verwirklichen. Würde es Ihren Mann nicht ebenso, ja gar noch härter treffen, wenn Sie nicht ihn, sondern Antoinette Vague töteten? Und der Vorteil, ihn damit gleichzeitig in Verdacht zu bringen!
Schon gestern während unseres Gesprächs haben Sie sich den Weg für Ihr Vorhaben geebnet, und heute haben Sie ihn beschritten.
Unter dem Vorwand, eine Briefmarke, Briefpapier oder was weiß ich zu benötigen, sind Sie in das Büro der Sekretärin gegangen, die Sie flüchtig gegrüßt und sich wieder über ihre Arbeit gebeugt hat.
Sie haben das Radiermesser entdeckt, das den Revolver überflüssig machte und zudem eine viel bessere Waffe war, denn ein Schuss hätte die anderen sofort alarmieren können...«
Er verstummte, zündete lustlos seine Pfeife an, ließ den Browning in seine Tasche gleiten und blieb abwartend stehen. Eine Ewigkeit verging. Madame Parendons Schultern zuckten nicht. Sie weinte also nicht. Sie wandte ihm immer noch den Rücken zu, und als sie sich schließlich umdrehte, war ihr Gesicht bleich und starr.
Kein Mensch hätte bei ihrem Anblick auch nur zu ahnen vermocht, was an diesem Tag in der Avenue Marigny passiert war, und noch weniger, was sich soeben in all dem Blau dieses Boudoirs ereignet hatte.
»Ich bin nicht verrückt«, sagte sie noch einmal, laut und deutlich.
Er antwortete nicht. Wozu auch? Und außerdem, woher sollte er das wissen?
8
Kleiden Sie sich an, Madame«, sagte er leise. »Sie können auch einen Koffer mitnehmen mit Wäsche zum Wechseln und Dingen für Ihren persönlichen Bedarf. Soll ich vielleicht besser Lise rufen?«
»Um sicherzugehen, dass ich mir nicht das Leben nehme?... Dafür besteht keine Gefahr, seien Sie beruhigt, aber es wäre mir tatsächlich recht, wenn Sie auf den Knopf drückten, der sich zu Ihrer Rechten befindet.«
Er wartete, bis das Zimmermädchen kam.
»Bitte helfen Sie Madame Parendon.«
Dann ging er langsam den Flur hinunter, die Augen auf den Teppich gerichtet. Er verirrte sich, verwechselte einen Korridor mit einem anderen und landete vor der Küche, hinter deren Glastür er Ferdinand und die dicke Madame Vauquin entdeckte. Vor Ferdinand, der Zeitung lesend am Tisch saß und die Ellbogen aufgestützt hatte, stand ein halber Liter Rotwein und ein gefülltes Glas.
Maigret ging hinein.
Die beiden zuckten zusammen, und Ferdinand sprang auf.
»Kann ich auch ein Glas haben, bitte?«
»Ich habe die andere Flasche aus dem Büro geholt.«
Wozu denn? So wie ihm zumute war, war es ihm gleichgültig, ob er einen alten Saint-Emilion oder einen billigen Roten trank. Aber er traute sich nicht zuzugeben, dass ihm letzterer lieber gewesen wäre. Er trank langsam, starrte vor sich hin. Er erhob keinen Einwand, als der Hausdiener sein Glas ein zweites Mal füllte.
»Wo sind meine Männer?«
»In der Garderobe. Sie wollten sich nicht in den Salon setzen.«
Sie hatten sich instinktiv am Ausgang postiert.
»Lucas, du gehst zurück in den Flur, in den du vorhin gekommen bist. Warte auf mich vor der Tür des Boudoirs.«
Er ging zu Ferdinand zurück.
»Ist der Chauffeur im Haus?«
»Brauchen Sie ihn? Ich rufe ihn sofort.«
»Ich möchte, dass er in ein paar Minuten mit dem Wagen vor der Einfahrt ist. Sind Reporter vor dem Haus?«
»Ja, Monsieur.«
»Fotografen?«
»Ja.«
Er klopfte an die Tür von Parendons Arbeitszimmer. Er war allein und hatte Papiere vor sich ausgebreitet, auf denen er mit einem Rotstift Vermerke anbrachte. Als er Maigret sah, starrte er ihm reglos entgegen. In den blauen Augen hinter den dicken Brillengläsern lag ein milder und zugleich so trauriger Ausdruck, wie Maigret ihn noch selten bei jemandem gesehen hatte.
Waren Worte notwendig? Der Anwalt hatte begriffen. Während er auf den Kommissar gewartet hatte, hatte er sich wie ein Schiffbrüchiger an seine Papiere geklammert.
»Ich denke, Sie werden nun noch mehr Grund haben, sich mit dem Artikel 64 zu beschäftigen, Monsieur Parendon.« »Hat sie gestanden?«
»Noch nicht.«
»Glauben Sie, dass sie gestehen wird?«
»Irgendwann, vielleicht heute Nacht oder in zehn Tagen oder in einem Monat wird sie so weit sein. Sie wird zusammenbrechen, und ich hoffe, dass ich es nicht miterleben muss.«
Der kleine Mann zog ein Taschentuch hervor und begann, seine Brillengläser zu reinigen, als wäre dies jetzt von größter Wichtigkeit. Und plötzlich schienen sich seine
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