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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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Faible für die Engländer mit ihrer königlichen Familie, für Schlösser, Kronen und höfisches Gepränge. Englisch also, großblumiger Chintz auf den Sesseln, der blaßgrüne Teppich ebenfalls mit Blumenmustern, Hepplewhite-Stühle im Erker und der Schrank eine Art Chippendale. Für die Fenster hatte Margot sich Vorhänge in der Farbe des Teppichs gewünscht, aber nur weißen gerafften Voile bekommen. »Vorhänge, Kind«, erklärte ihre Schwiegermutter, »passen nicht zum Stil, das wäre hier ausgesprochen piefkisch, wie bei kleinen Leuten.«
    Gefrühstückt wurde an dem runden Erkertisch, etwas eng, aber ausreichend. Die übrigen Mahlzeiten nahmen sie ohnehin unten mit den Eltern ein, so daß die provisorische Teeküche der ausgebombten und nun auch wieder ausquartierten Verwandtschaft weiterhin genügte. Der restliche erste Stock gehörte wie das Herrenzimmer, das als Büro deklariert war, offiziell zur Weberei, zusätzliche Lagerräume, pro forma mit allerlei Gerätschaften vollgestellt und auf diese Weise dem Zugriff des Wohnungsamtes entzogen.
    Ein hübscher Platz, der Erker, nach Osten gerichtet, und die Morgensonne nicht zu heiß für die Pflanzen auf den breiten Fensterbrettern. Am Vormittag nach der Hochzeit allerdings regnete es, tröstlich, fand Margot, denn die Reise nach Sylt, wo sie das Meer sehen wollte, endlich das Meer, war gestrichen worden. Wichtige Entscheidungen standen bevor, von denen es abhing, ob die Weberei, in der zur Zeit erst achtzig Stühle liefen, die Produktion weiter erhöhen und allmählich wieder die Vorkriegskapazität erreichen konnte. Verhandlungen mit Kunden, Lieferanten und Banken mußten geführt, Arbeiter eingestellt, Maschinen erneuert werden, Anstrengungen, denen sich der alte Hellkamp allein nicht mehr gewachsen fühlte. Und wer jetzt nicht auf dem Quivive sei, sagte Harald, der würde auch in Zukunft hinterherhinken.
    »Sylt im Regen, stell dir das vor. Hier ist es sowieso schöner, gerade im Herbst, so viele Astern und Dahlien im Garten, und der Teutoburger Wald ist nicht weit.«
    Er griff über den Tisch nach Margots Hand. »Du hast einen Nesthocker geheiratet. Als Kind schon habe ich mir immer unser Haus vorgestellt, wenn vom Paradies die Rede war. Du auch?«
    Margot schloß die Augen, ich sehe was, was du nicht siehst.
    Harald biß in sein Schinkenbrötchen. »Keine Fremden mehr im Haus. Haben wir fabelhaft hingekriegt, wie?«
    Er lachte, und Margot, irritiert von der unbekümmerten Freude über den gelungenen Coup, sagte: »Vier leere Zimmer. Da hätten zwei Familien Platz.«
    »Möchtest du die gern hier oben haben?«
    Sie goß ihm Kaffee ein, Frau Hellkamp im Erker. »Wer möchte das wohl. Aber es ist ungerecht. Bloß weil ihr Beziehungen habt.«
    »Wir, Schatz, wir. Du gehörst jetzt nämlich dazu.« Harald drückte den Rücken durch. »Meine Mutter mit ihrem englischen Tick. Findest du diese Dinger eigentlich bequem?« Er schob seinen Stuhl beiseite und holte sich einen anderen aus dem Herrenzimmer. »Wir beschäftigen schon wieder über achtzig Arbeiter, und ich schufte wie ein Berserker, damit wir auf den alten Stand kommen, zweihundert weg von der Straße, in Lohn und Brot. Da steht es uns ja wohl zu, ein bißchen komfortabler zu leben als die Leute.«
    »Die Leute!« sagte Margot. »Die Leute sind auch Menschen.«
    »Sehr originell. Aber es wird ja wohl noch Kristallisationspunkte geben dürfen.«
    »O Gott«, sagte sie.
    »Was hast du eigentlich? Du bist doch auch nicht aus dem Schweinekoben gekommen.«
    Margot hob den Kopf. »Und wenn?« fragte sie und wollte etwas sagen. Gut vielleicht, daß Harald eine Fortsetzung der Diskussion verhinderte. Schließlich waren sie in den Flitterwochen, und noch ließ Margot sich gern zum Schweigen bringen. Aber das Wort war da, Schweinekoben, es blieb hängen wie anderes auch, piefkisch zum Beispiel, das ihre Schwiegermutter so gern gebrauchte, und jedesmal schien es Anna Jarosch zu treffen und die Enkelin in der Kleinen Wollweberstraße. »Ich ersticke an meiner toten Vergangenheit«, wird Margot eines Tages sagen, zu Wiethe, der langsam näherrückt. Keine drei Jahre bleiben noch für Bielefeld und diese Ehe, gerade begonnen, und schon beginnt das Ende.
    Fest steht im übrigen, daß sie es gut machen wollten, beide, auch Harald in seiner heilen Welt, der nicht verstand, warum es nicht gutging, so einfach, wie doch alles schien. »Man muß sich einig sein«, ließ er bei der ersten wirklichen Auseinandersetzung mit

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