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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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ich gewußt hätte, was da passiert ...« Er dachte nach. »Also, ich will nicht übertreiben. Ich weiß nicht, ob ich dageblieben wäre. Aber vermutlich hätte ich versucht, Sie zu warnen. Bloß wie? Ans Fenster klopfen? Und an welches? Ich war nie an Ihrem Fenster.« Er sprach immer noch so schnell wie früher, zwei Worte statt einem. »Schuld. Das ist auch so was Gewaltiges. Wissen Sie, ich wollte unbedingt übrigbleiben, schon aus Neugier. Aber vielleicht bin ich nur ein feiger Hund.«
    »Wahrscheinlich«, sagte sie.
    »Und mit feigen Hunden trinken Sie keinen Kaffee, wie?«
    Margot stand auf.
    »Bitte gehen Sie nicht weg«, sagte er. »Sie wissen doch, wie ich immer quatsche.« Er legte die Hand auf ihren Arm, einen Moment nur. »Das Bedeutsame ist mir irgendwann unterwegs abhanden gekommen, ich kann nichts dafür. Aber ich weiß, was Sie meinen. Es tut mir leid. Verdammter Krieg.«
    Wiethe, er sitzt auf seinem Schreibtisch mit einem Kriminalroman. Das Kriegshirn, young Lady.
    »Sind Sie wenigstens ein richtiger Friedensmensch geworden?« fragte Margot.
    »Man tut, was man kann«, sagte er. »Und wie ist das mit Ihnen? Respektabel immer noch, wie? Immer perfekt. Ich hatte ja schon damals Angst, einen Fleck auf Ihre Bluse zu machen.«
    Sie ging ans Fenster und sah zur Straße hinunter. Autos, Radfahrer, ein Preßlufthammer, der kreischend das Pflaster aufriß, und gegenüber, auf einem Stück grüner Bombenwiese, spielten Kinder. Wo sein Sohn sei, wollte sie wissen.
    »Bei der Mutter, in Altona. Wir sind geschieden.«
    »Wegen Annelie?«
    »Wer ist Annelie? Ach Gott, ja, diese ganzen Annelies. Ich bin leider nicht so respektabel wie Sie, young Lady. Wissen Sie übrigens, daß ich Sie gesucht habe? In den Listen der Pommerschen Landsmannschaft.«
    »Ich bin auch nicht respektabel«, sagte Margot.
    »Aber keine Margot Jarosch vorhanden. Ich will eine Artikelserie schreiben...«
    »Überhaupt nicht respektabel«, wiederholte Margot, und Wiethe sagte, ob sie ihm wohl mal zuhören könne, eine Artikelserie für den stem, alte Nazis in neuem Glanz oder so ähnlich, und da sei doch dieser Patschek gewesen.
    Margot erschrak. »Max Patschek aus Pyritz? Woher kennen Sie den!«
    »Woher wohl!« Er ging zum Schreibtisch und gab ihr ein Heft, sein Oktavheft aus Mellenthin. Bericht Margot Jarosch, stand dort, der Name unterstrichen, die Schrift verblaßt, und darunter: Lotte Lerche, Bankangestellte, ca. 40, liiert mit Johannes Rosenfeld, Jude, Schauspieler, Pseudonym Hanno Feit, gestorben vor 1933. Max Patschek, Parteigenosse, SA, Hauptmann (Luftwaffe), rechter Arm amputiert, Filialleiter Kreisbank Pyritz. Übergibt L. L. der Gestapo, weil sie sich weigert, das Rosenfeld-Foto vom Schreibtisch in der Bank zu entfernen - Nachtrag 1951: Patschek in Hamburg bei der Hansa-Bank. Lotte Lerche umgekommen 1944 im KZ Ravensbrück.
    »Lotte Lerche«, sagte Margot.
    »Sie steht auf der Totenliste. Und Patschek macht jetzt ganz groß Bankkarriere. Ich kann die Sache nur aufgreifen, wenn ich wasserdichte Zeugenaussagen habe. Kriege ich die von Ihnen?«
    »Welche Aussagen?« Dabei wußte sie genau, was er meinte.
    »Die ganze Affäre.« Wiethe spannte einen Bogen in die Schreibmaschine. »Dann man los.«
    Lotte Lerche, Hanno Feit, Pyritz, nichts verschwindet, solange du dich erinnerst, erinnere dich.
    »Es geht nicht«, sagte Margot.
    »Na hören Sie mal.« Er nahm die Hände von der Maschine. »Haben Sie etwa Angst?«
    Margot antwortete nicht.
    »Jetzt passen Sie mal auf, young Lady.« Wiethe schob seinen Stuhl zurück. »Das hier ist eine ernste Sache. Diese ganzen verdammten Patscheks. Wenn der Kerl bei der Bank tatsächlich nach oben rutscht, wissen Sie, was das bedeutet?« Er beugte sich vor, die Augen zusammengekniffen. »Das sage ich Ihnen, wer am Geldhahn sitzt, macht Politik. Soll Patschek Politik machen? Vielleicht denken Sie mal darüber nach.«
    Es war Abend inzwischen, der Preßlufthammer verstummt, etwas in ihr löste sich, wie hieß es in dem Märchen, Heinrich, der Wagen bricht, nein Herr, der Wagen nicht, es ist ein Band von meinem Herzen, und endlich konnte sie reden. Damals in Neustrelitz, der falsche Name, der falsche Mann, das falsche Leben.
    »Ach, young Lady«, sagte er. »Was für ein Mist.«
    »Es ist meine Schuld«, sagte sie. »Alle habe ich auf dem Gewissen. Meinen Mann und...«
    »Der erholt sich wieder«, unterbrach er sie.
    »Aber das Kind!«
    »Die Ungeborenen«, sagte Wiethe, »sollte man nicht betrauern.

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