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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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Professors, seine Doktorandin zu werden, und nun galt das alles nicht mehr.
    Im »Braunen Hirsch« hatten sich die Studenten bisher gedrängelt zur Mittagszeit. Heute jedoch waren die meisten Tische frei, eine Mark für Béchamelkartoffeln, wer wollte das bezahlen.
    »Sind Koteletts da?« fragte Harald den Ober. »Ohne Marken?«
    Der Ober war schon auf dem Sprung. »Kotelett mit Bratkartoffeln und Salat.«
    Er eilte davon, und Harald sagte: »Siehst du, die Währungsreform. Ab heute gibt es alles.«
    »Für mich nicht. Und ich kann mir kein Kotelett leisten.«
    Sie wollte gehen, doch er hielt sie fest. »Du bist eingeladen. Zum Verlobungsessen. Oder meinst du, ich fahre ohne dich nach Bielefeld?«
    Sie stand an der Tür, perplex, es kam so unvermittelt. Gelegentlich, wenn sie zusammen schliefen und er sie seine große Liebe nannte, die einzige, du, sonst keine, hatte sie auf die Frage gewartet, heiraten, warum fragt er mich nicht, und sich überlegt, was darauf zu erwidern wäre, ja, natürlich ja, nur erst zu Ende studieren. Aber jetzt, nach der Währungsreform, konnte sie diese Bedingung nicht mehr stellen.
    »Du willst doch?« fragte Harald, und Margot hatte ja gesagt, ja, ich will, und das Studium flog endgültig vom Tisch, ohne Not im Grunde, Bielefeld war nicht weit, und Hellkamps hätten es bezahlen können. Aber müßig, das Thema auch nur anzuschneiden. »Liebling, ich brauche eine Frau und keine Studienrätin«, sagte Harald lachend und glücklich, und seltsam, wie leicht Margot das Studium fallenließ. Sie gab auf, ein sang- und klangloser Abschied von diesem Traum, vielleicht, daß sie es nicht anders haben wollte, es möglicherweise sogar darauf anlegte. Denn inzwischen hatte sie das Haus gesehen, die weiße Villa in der Dornbergerstraße am Johannisberg, und nun stand ein Traum gegen den anderen.
    Es war an Haralds Geburtstag gewesen, Zeit des Flieders, lila und weiß, das Haus schien in Flieder getaucht. Der Duft wehte ins Zimmer, als Margot zum ersten Mal bei Hellkamps am Tisch saß, ein Eßzimmer mit Stuckdecke und Kronleuchter, auf dem Büfett Silberschalen, Kristallkaraffen, bemalte Vasen, und durch die offene Tür der Blick zum Wintergarten.
    »Meine Schwiegereltern haben das Haus 1902 gebaut«, erzählte Frau Hellkamp, »momentan können wir leider nur die unteren Räume bewohnen, das obere Stockwerk haben wir an ausgebombte Verwandte abgetreten, bis die Zeiten sich wieder bessern.«
    Sie war eine große, schlanke Frau mit Haralds Silberblick, weißhaarig bereits, aber noch jugendlich im Vergleich zu ihrem Mann, der an einem Lungenemphysem litt und jede Bewegung so vorsichtig ausführte, als furchte er, etwas in sich zu zerbrechen. Jedoch nahm er, wenn auch mit leiser Stimme und von häufigem Husten unterbrochen, durchaus an dem Gespräch teil und lenkte es vom Haus zur Weberei, die sein Großvater, der einzige Sohn einer alteingesessenen Leineweberfamilie, vor dreiundsiebzig Jahren gegründet hatte oder ausgebaut, genauer gesagt mechanisiert, denn Handwebstühle waren ja schon dagewesen. Bielefelder Leinen, weltberühmt, aber nicht mehr konkurrenzfähig gegen die Engländer und ihre industrielle Produktion, wer überleben wollte, mußte umdenken, schwierige Entscheidungen sicherlich zu jener Zeit. Und während er von den ersten fünfzig mechanischen Webstühlen berichtete, von der ersten Dampfmaschine, dem späteren Neubau in der Heinrichstraße mit Websaal, Spulerei, Schlosserei, Tischlerei und wie der Betrieb sich stetig vergrößert hatte, rund zweihundert Webstühle immerhin vor dem Zusammenbruch, darunter schon einige automatische für Baumwolle und Tuche, stieg ein Bild aus Margots Erinnerung, ein Zimmer wie dieses, Stuckdecke und Lüster, Samtvorhänge an den Fenstern, und da steht sie mit der Sülze im Korb und träumt, daß alles ihr gehört. Wie lange war es her? Fünfzehn Jahre vielleicht, fünfzehnmal Sommer und Winter, Krieg dazwischen und Frieden, und nun saß sie hier in Bielefeld und aß von Meißner Weinlaubporzellan, und der Fabrikbesitzer Hellkamp sagte: »Wir freuen uns sehr, liebes Fräulein Margret, daß Harald Sie uns endlich mitgebracht hat.« Später tranken sie Kaffee im Biedermeierzimmer, helles Kirschbaumholz, blauweiß gestreifte Tapeten und Sessel, und vor dem Fenster verblühte ein Magnolienbaum.
    Das Haus mit den Säulen am Eingang, der Köder.
    Die Hochzeit fand im September statt, noch warm genug für das weiße Kleid, ein Werk von Frau Wolff, die man auf

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