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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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Nicolaikirche, Ort seiner Taufe und Konfirmation. Es war Haralds Wunsch, an der Ruine vorbeizufahren und dann noch zum alten Markt mit den ausgebrannten historischen Fassaden, ein Umweg, denn die Trauung fand in der Neustädter Marienkirche statt. Aber er wollte die Stadt grüßen an diesem Tag und ihr seine Frau vorstellen, als neue Bielefelderin und, wie er übermütig in die Luft rief, Mutter von ein paar künftigen kleinen Bielefeldern.
    Sie saßen in der offenen Kutsche, Windstille, kaum, daß Margots Schleier sich bewegte. Das Kleid, so die einhellige Meinung, war ein Traum, glänzender Duchesse, lange schmale Ärmel, der Rock überweit, mit Spitzenmedaillons besetzt und auf dem engen
    Mieder zwei Reihen winziger Knöpfe. »Könnte aus Paris sein«, hatte Frau Wolff bei der letzten Anprobe gesagt, voller Stolz, denn anfänglich hatte man den Kopf geschüttelt über Margots Iffenhausener Schneiderin. Jetzt jedoch wollte jede Dame, die das Ergebnis vorzeitig in Augenschein nehmen durfte, sofort ihre Kundin werden, Begründung einer Bielefelder Karriere, von längerer Dauer als Margots, auch auf solideren Füßen.
    Was Harald betraf, so hatte er das Kleid erst zu sehen bekommen, als er Margot bei der Hellkampschen Kusine im Johannistal, ihrem Quartier während der Verlobungswochen, abholte. Sie stand vor ihm, Teerosen in der Hand, und wurde rot, so sah er sie an. Seit ihrer Ankunft in Bielefeld hatten sie nicht mehr zusammen geschlafen, in der Brautzeit solle man keusch sein, meinte er, und sie wollten sich doch freuen auf die Hochzeitsnacht. Ein Umschwung, der ihr etwas albern erschien angesichts der Tatsachen. Aber es hätte sich ohnehin kaum eine Gelegenheit geboten für das, was von nun an nicht mehr als unkeusch gelten würde.
    Er hielt ihre Hand, als sie vom Markt zur Neustädter Straße fuhren. »Meine Frau«, sagte er, »gleich bist du meine Frau«, so feierlich, als nähme er ein heiliges Wort in den Mund. Es rührte sie, weil er sonst nicht zur Feierlichkeit neigte, und sie war stolz, neben ihm zu sitzen, gut wie er aussah in dem dunklen Anzug, ein schönes Paar, fanden die Leute am Straßenrand. Margot lächelte ihnen zu, »Harald«, sagte sie, »ich liebe dich, ich liebe dich wirklich«, und selbstverständlich glaubte er ihr, seiner Sache so sicher wie des Amens in der Marienkirche, die sie nun betraten, ohne Glockengeläut, denn auch diese Türme waren Opfer der Bomben geworden. Doch als das Portal sich öffnete, setzte die Orgel ein, und an Haralds Arm ging Margot durch das gotische Schiff zum Altar. Eigentlich hatte sie sich gewünscht, daß Pastor Schaper dort stehen sollte, ein Wunsch, der an den Hellkampschen Traditionen scheiterte. Aber er hatte den Trauspruch ausgesucht, Hebr. 13,9: Es ist ein köstlich Ding, daß das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.
    Als sie aus dem Dämmerlicht der Kirche vor das Portal traten, wo die Neugierigen sich drängten, fürchtete Margot noch einmal, jemand könne kommen und sagen: »Ich bin aus Pyritz«, ihre dauernde Angst während des Aufgebots. Aber offenbar gab es keine Pyritzer in Bielefeld, und wenn, dann hatten sie versäumt, den Aushang am Standesamt zu lesen. Unbehelligt stieg sie in die Kutsche, um zur Hochzeitsfeier im »Bielefelder Hof« zu fahren, Frau Margret Hellkamp, ein neuer, gültiger Name, was konnte jetzt noch geschehen.
    Um es gleich zu sagen, nichts wird geschehen von außen, kein Zeuge der Vergangenheit sich einmischen, Margot hätte, soweit es das betraf, ihr Leben in Ruhe hier verbringen können. Und so sah sie es auch, als sie am nächsten Morgen neben Harald aufwachte und das Frühlicht durch die hellblauen Vorhänge des Schlafzimmers drang, und rundherum die Stille des Hauses, in das sie gehörte: Mein Mann, mein Haus, meine Zukunft. Margots falscher Traum. Sie war ihm nachgelaufen, in die Falle hinein. Niemand kam, um sie herauszuholen. Nichts kam von außen, alles von ihr selbst.
    Im Grunde begann es schon an diesem Tag, beim Frühstück. Der erste gemeinsame Morgen. In Göttingen hatten sie nie eine Nacht zusammen verbringen, nie zusammen erwachen können, auch sonst wenig Zeit füreinander gehabt unter dem Druck von Haralds Examen, eigentlich, wenn man es bedachte, nur Zeit für die Liebe. Doch nun waren sie zusammen eingeschlafen und aufgestanden und saßen im Wohnzimmer, das seine Mutter ihnen aus den Beständen des Hauses eingerichtet hatte, englisch angeblich, denn von den Besatzungstruppen abgesehen hatte sie ein

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