Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte
ich jetzt nicht denken. Denk an das Fett, das da drin ist, wie es sich auf meinen Oberschenkeln festsetzt, meinen Bauch dick werden lässt...
Geschafft, der Unterricht beginnt, jetzt habe ich zwei Stunden Ruhe.
Wir haben Nachmittagsunterricht, was bedeutet, dass alle hier in der Schule bleiben und dort essen. Zum Glück gibt’s hier keine Mensa, das heißt, viele gehen zum Edeka nebenan und kaufen sich da was. Ich gehe lieber in die Stadt, 10 Minuten gelaufen, ein bisschen Schaufenster gucken und dann wieder zurück. Ich weiß schon in welche Straßen ich besser nicht gehe, weil da die Bäcker sind und der Mac Donalds. Also laufe ich anders herum und überstehe die Mittagspause, noch zwei Stunden Unterricht.
Um drei bin ich fertig, und laufe wieder schneller als nötig nach Hause. Das Frühstück dürfte aufgebraucht sein, aber sicher bin ich mir nicht. Wahrscheinlich hat mein Körper längst auf Krisenzeiten umgestellt und verbraucht die wenigen Kalorien extra sparsam. Das bedeutet, noch mehr Bewegung, noch weniger essen.
Zuhause mach ich meine Hausaufgaben, das Heimkommen ist ziemlich schwierig, weil der Kühlschrank voll ist und hier keiner ist, der mich sehen könnte. Wenn ich Zuschauer habe ist es einfacher, stark zu bleiben. Aber so ganz allein? Ich mache mir einen grünen Apfel, die sind so schön sauer, dass ich mir einreden kann, dass da weniger Zucker drin ist.
Dann pack ich meine Sachen und gehe ins Fitnessstudio. Mittlerweile geh ich alleine hin, Steffie geht nur selten mit. Aber ich kann wieder zwei Stunden rumkriegen, damit endlich Abend ist und ich wieder einen erfolgreichen Hungertag geschafft habe. Das Fitnessstudio gibt mir Kraft. Da sehe ich die anderen Frauen, die schwitzen und pusten und pumpen, weil ihre dicken Körper völlig untrainiert sind. Ich komm dann mit meiner super kurzen Leggins um all die bewundernden Blicke einzuheimsen, weil ich so schlank bin.
500 Kalorien hab ich geschafft, auf dem Fahrrad wird das so schön angezeigt. Also bin ich voll im Soll. Ich liebe es, im Minus mit den Kalorien zu sein, dann kann ich mal auf keinen Fall zunehmen, oder? Und falls ich heute Abend doch noch ein Brot esse, dann komm ich auf null, und damit kann ich leben.
Um sechs bin ich wieder zu Hause, meine Eltern kommen auch bald. Sie haben schon lange aufgehört, mich zu fragen, ob sie mir eine Pizza mitbringen sollen. Schade eigentlich, unsere Pizzaabende waren immer so schön! Aber jetzt ist es angespannt, Mama weiß nicht so genau, was sie kochen soll, also hab ich gesagt, sie soll es einfach lassen. Manchmal kochen wir was zusammen, dann koch ich für sie mit extra Butter und für mich ganz ohne. Wenn ich dann sehe, wie sie so viel isst, dann hilft mir das, wenigstens ein bisschen zu essen. Hauptsache weniger als alle anderen. Dafür liebe ich meinen Bruder so. Er hat einen so gesunden Appetit. Da kann ich mich entspannen, weil er jedes mal doppelt so viel isst wie ich und auch nicht dick ist. Im Kreis der Familie, nur für mich, ist es einfacher. Ich mag nur gar nicht vor Fremden essen oder in der Schule, da starren mich alle nur an „ach schau, sie ist ja doch...“ und so, darauf habe ich keine Lust. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass ich alle beobachte und über jeden genau weiß, was er wann gegessen hat. Wenn Mama sich beschwert, dass sie so zugenommen hat, obwohl sie doch so wenig isst, dann schmunzel ich, weil ich genau weiß, was sie alles gegessen hat. Und wie viele kleine Süßigkeiten sie im Laden so nebenbei verdrückt. Das gibt es bei mir schon ewig nicht mehr, ich weiß immer ganz genau, was und wie viel ich gegessen habe, du kannst mich nachts wecken und ich sage dir die Anzahl der Kalorien der letzten Woche auf.
Heute esse ich wenigstens ein Käsebrot, mit „dudarfst“ Käse, nur eine dünne Scheibe, ohne Butter und nochmal einen Apfel. Nach dem Sport hab ich vor allem Durst und Trinken hilft. Dann Rauchen und Kaugummi Kauen, die besten Tipps um den Hunger abzuwenden. Hoffentlich kann ich heute halbwegs schlafen. Das Einschlafen ist schrecklich, weil ich ständig grübel und alles zwanzigmal durchdenke. Und nachts wach ich dann auf, weil ich Hunger habe. Aber gut, das ist halt etwas, das ich in Kauf nehmen muss, wenn ich schön sein will. Und morgen ist wieder ein neuer Tag, der mit dem Gang zur Waage beginnt.
05.10.1996
Was alles passiert ist?
Das Auto fährt wieder, mit dem Reiten hab ich aufgehört, mit Tino ist nix geworden. Langsam kann ich einfach
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