Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte

Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte

Titel: Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Federlein
Vom Netzwerk:
der gute Schein gewahrt werden muss!
    Außerdem glaube ich, dass sie sich die Schuld für all das gibt. Sie kann es nicht lassen, mir das ständig zu sagen. Klar, es ist bestimmt nicht einfach, mir beim Verhungern zuzuschauen, aber was hat sie damit zu tun? Ich tu doch nur mir selber weh und keinem anderen. Trotzdem seh ich in ihrem Blick, wie sie mir vorwirft: Warum tust du mir das an?!! Was sagen die Leute?! Oder sie macht eben auf Opfer, sie Arme, dass sie dieses Schicksal zu tragen hat, dass ausgerechnet ihre Tochter so etwas hat – und sonnt sich dann in der Aufmerksamkeit der Anderen.
    Mit ihren Versuchen, mich zum Essen zu bewegen, macht sie alles nur noch schlimmer! Kann sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Dann dauernd dieses Beobachten: Isst sie, isst sie nicht... ich bin doch keine Aussätzige!
    Mein Bruder versucht, mich zu verteidigen. Dann haben die beiden auch noch Knatsch.
    Was soll ich denn machen? Am liebsten wäre ich gar nicht mehr da, schließlich bin ich an all dem Schuld! Aber ich wollte doch nie jemandem schaden!!!
    Ich zieh mich immer mehr zurück und krieg auch immer weniger mit! 42 Kilo wiege ich jetzt! Auch wenn`s scheiße ist, weil krank... ich bin richtig stolz drauf, auch wenn mich niemand versteht!
    Wann genau hat sich das eigentlich gedreht? Erst fanden es alle toll, wie super ich abgenommen habe, irgendwann war es so augenscheinlich, dass ich nach Diättipps gefragt worden bin und die Bewunderung war riesig, wie toll ich es doch schaffe, mich zurückzuhalten usw... Jetzt bin ich die Kranke! Ich glaube, dass es ein paar Menschen gibt, die sich jetzt freuen, dass es krankhaft ist bei mir, nämlich genau diejenigen, die keinen Willen haben und es nie schaffen würden, abzunehmen, obwohl es da echt nötig wäre. Die können aufatmen und sagen - na, bevor mir so etwas passiert, da ess ich lieber weiter.
    Menschen sind eigenartige Wesen!
    Bis bald!
     
     
    Der Punkt, als es bei mir gekippt ist, war tatsächlich ein Buch, das mir meine Mutter in die Hand gedrückt hatte. Da stand recht fachmännisch und medizinisch eben alles drin, was man über Magersucht wissen sollte - und es standen alle Symptome dieser Krankheit, vom Ausbleiben der Regel, über ständiges Frieren und der Flaumbildung auf dem Rücken, weil der Körper auf die Dauerunterkühlung reagiert, bis eben hin zur Essensverweigerung, der ständigen Selbstverarschung, dass man ja morgen wieder normal essen würde, nur heute eben nicht (nur dass das Morgen nie kommt!) - alles drin! Die zwanghafte Fixierung auf die Waage, die über gute und schlechte Tage bestimmt, Depression, Stimmungsschwankungen und das sich Zurückziehen, von der Außenwelt abkapseln, all das sind Merkmale der Krankheit. Als ich das gelesen hatte, viel es mir wie Schuppen von den Augen, wie man so schön sagt.
    Und das ist für mich bis heute noch jedes Mal wieder faszinierend. Denn jeder Magersüchtige, egal welche Geschichte dahinter steht, berichtet über genau diese Dinge. Wie man sich selber bescheißt, weil man jeden Tag einspart, um am nächsten Tag mehr essen zu können, aber man tut es nicht. Über den Hype und den Kick, den es einem bringt, wenn man sich selber wieder besiegt hat und nichts gegessen hat oder die Waage den Erfolg anzeigt! Wie man mit zittrigen Beinen kaum noch die Treppe rauf kommt und eigentlich nur noch zusammenbrechen möchte, aber sich dann erst recht antreibt, weil Schwäche eben eine Schwäche ist und nicht zu einer ehrgeizigen Magersüchtigen passt.
    Der Stolz in den Augen eines jeden Magersüchtigen, wenn er sein unterstes Gewicht, das er je erreicht hat, preisgibt, die Konkurrenz mit Mitmenschen, man will ja besser sein. Das völlige Ausblenden aller negativen Dinge, die man sehr wohl spürt, sich aber nie eingestehen würde. Wie man seine Sucht bis aufs Letzte verteidigt, nur um den Schmerz nicht ertragen zu müssen, den man unweigerlich empfinden würde, wenn man sich eingesteht, dass man auf dem Holzweg ist. Du willst nicht auf die anderen hören, die dir sagen, dass du zu dünn bist, dass es nicht mehr schön ist. Ich hab mir immer gesagt, die sind nur neidisch auf meine Kunst der Selbstbeherrschung.
    Klar, sonst hätte ich ja all das, worauf ich die Monate und Jahre hingearbeitet hatte, als falsch anerkennen müssen. Nicht, nachdem ich so viel Energie da hineingesteckt hatte! Nein! Also drehst du alles rum, jeden der dich eigentlich mitleidig anschaut nimmst du als Erfolg, weil deine Dürrheit aufgefallen ist. Du hast

Weitere Kostenlose Bücher