Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte
nicht relevant im Kampf ums Überleben. Und es hilft auch nicht, immer wieder danach zu fragen, weil man dann wieder anfängt, sich als Opfer zu sehen. Warum ich, wie kann das sein, was hab ich verbrochen...
Man muss es einfach akzeptieren, annehmen, und nach vorne schauen. Ich habe meine Theorien zu diesem Warum, aber das würde ein neues Buch werden. Und das muss jeder für sich selber herausfinden. Ich will mit diesem Buch einfach nur Mut machen, dass es sich lohnt zu kämpfen und dass es ein Leben NACH der Sucht gibt. Eines, für das es sich zu kämpfen lohnt!
Nachwort
Ich habe mir lange überlegt, wie ausführlich ich meine Geschichte schreiben soll, ob ich meine sexuellen Eskapaden so genau nennen und viele persönliche Dinge preisgeben soll. Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass es nötig ist, um die Krankheit zu verstehen. Weil eine Essstörung eben genau das nicht ist: aufs Essen oder nicht Essen beschränkt. Psychosomatische Krankheiten beeinflussen den Charakter, das Verhalten, den ganzen Menschen, das Essen oder das Suchtmittel ist nur ein Symptom. Und weil immer noch zu viele Menschen meinen, man solle doch einfach wieder etwas essen, dann wäre doch alles gut, habe ich mich zu dieser Offenheit entschieden. Um deutlich zu machen, wie tiefgreifend und umfassend die Sucht mein Leben beeinflusst hat, wie selbstzerstörerisch und eigenartig ich mich verhalten habe.
Ich spreche absichtlich von Fressen und Kotzen, da es genau das ist. Ein Alkoholiker trinkt auch nicht, er säuft. Und ein Bulimiker isst und erbricht sich nicht, er frisst und kotzt. Da ist nichts Ästhetisches dran, nichts, wozu man andere Menschen gerne zu einladen würde.
Außerdem ist es ein Teil meines Wesens, die Dinge beim Namen zu nennen, auch ein bisschen exibitionistisch zu sein. Aufmerksamkeit damit zu bekommen, indem man anders ist. Heute habe ich das in andere Bahnen gelenkt. Wenn ich eine Phase habe, in der ich Aufmerksamkeit und Andersartigkeit möchte, hungere ich mich nicht mehr halb zu Tode, nur um allen zu zeigen „schaut her, ich bin anders“ nein, ich lasse mich tätowieren, färbe mir die Haare oder trage ausgefallene Klamotten. Zu der Geburt meines zweiten Sohnes hab ich mir eine Glatze rasiert, damit war ich definitiv Gesprächsthema.
Auf solche Phasen folgen dann wiederum ganz ruhige Wochen, in denen ich einfach nur normal sein will, auch das habe ich mittlerweile akzeptiert. Dann laufe ich im Jogginganzug herum, lese ein Buch und verzieh mich in meine vier Wände. Und genau das habe ich gemeint damit, dass man lernen muss, sich selber zu akzeptieren und zu nehmen, wie man gerade ist. Dass man versuchen muss, allen seinen Seiten genug Raum zu geben. Auch wenn ich immer so schreckliche Angst hatte, dass ich womöglich niemals mit dem Weinen aufhören würde, wenn ich nicht dagegen vorgehe, stimmt das nicht. Wenn man der Trauer ihren Raum gibt, dann hat man irgendwann tatsächlich ausgeweint. Nur darf man sich nicht dagegen wehren.
Ich bin traurig, gut, dann wein ich eben oder stiere melancholisch aus dem Fenster. Irgendwann kommt eines meiner Kinder und lenkt mich ab; wenn ich das will. Wenn nicht, wein ich eben weiter. Irgendwann hör ich von alleine auf und dann ist Platz für ein neues Gefühl. Auch die Angst, wenn ich normal essen würde, könnte ich nicht aufhören, weil mein Sättigungsgefühl nicht mehr funktioniert, ist Quatsch!
Es ist tatsächlich ein Unterschied, ob ich einen Fressanfall habe, dann gibt es kein „satt“ oder ob ich normal esse, denn da setzt wie bei jedem anderen auch irgendwann ein Stopp ein und ich kann ohne Probleme aufhören. Manchmal ist das später als mir lieb ist. Ich trinke nach wie vor noch sehr viel beim Essen, um weniger Platz im Magen zu lassen für Essen. Aber ich kann ein Stück Kuchen essen und aufhören! Und ich habe auch nicht bis ins Unendliche zugenommen. Mein Körper hat ein Wohlfühlgewicht und bei normalem Essen und normaler Bewegung pendelt sich mein Gewicht darauf wirklich ein!
Manche Gelüste und Verhaltensweisen muss man sich abtrainieren, umlenken auf lebensbejahende Dinge. Manche Dinge brauchen ihren Raum so wie sie sind. Und die richtige Mischung zu finden ist die Kunst. Das dauert tatsächlich Jahre. Aber der Erfolg kommt ebenfalls mit jedem weiteren Schritt. Man muss nicht erst alles richtig machen, um Veränderungen zu merken. So habe ich recht schnell mein krankes Essverhalten in den Griff bekommen, mit meinen Stimmungsschwankungen habe ich
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