Manchmal muss es eben Mord sein
mich nach der Arbeit mal zum Essen eingeladen.« Sie hielt einen Moment inne und fuhr dann trotzig fort: »Außerdem duzt er sich mit vielen Leuten. Das ist eben so seine Art.«
Seine Art konnte sich Alex inzwischen lebhaft vorstellen. Wahrscheinlich hatte Windisch auch etwas mit diesem Mädchen gehabt, das doch seine Tochter sein könnte. Beim Anblick von Jennys verschlossener Miene beschloss sie jedoch, diesen Punkt vorerst auf sich beruhen zu lassen. Sie würde später wieder nachhaken. Jetzt musste sie sich erst einmal darauf konzentrieren herauszufinden, wo Jenny zur Unfallzeit gewesen war.
»Also, Frau Lehmann, zurück zu gestern Nachmittag. Sie haben Ihre Schokolade nicht im Café getrunken, sondern sind gleich wieder verschwunden. Warum?«
»Ich war spät dran.«
»Und was haben Sie dann gemacht?«
»Ich bin ins Büro zurückgegangen.«
Jenny sprach plötzlich sehr leise und blickte wieder zur Dachterrasse. Sie schien mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein und sackte immer mehr in sich zusammen.
Alex startete einen Versuchsballon. »Und da sind Sie Stefan Windisch begegnet.«
»Ja, ich meine, nein … Es war nicht so, wie Sie denken.«
Jenny begann unruhig auf ihrem Stuhl hin und her zu rutschen und wich Alex’ Blick aus.
»Wie war es denn dann, Frau Lehmann? Wo genau sind Sie Herrn Windisch begegnet?«
»Ich bin ihm gar nicht begegnet.« Jennys Stimme war nur noch ein Flüstern. »Ich hab ihn nur gesehen, als ich um die Ecke bog. Er ging vor dem Gebäude auf und ab und rauchte.«
Alex lehnte sich zurück und musterte ihr Gegenüber.
»Dann müssen Sie doch direkt an ihm vorbeigegangen sein, um ins Büro zu kommen.«
»Nein, das bin ich nicht.« Jenny zögerte einen Moment. »Als ich ihn gesehen hab, bin ich sofort umgedreht und hab den Hintereingang genommen.«
»Aber warum denn das?«
»Ich wollte ihm eben nicht begegnen.«
Jenny schien jetzt den Tränen nahe.
»Haben Sie auf Ihrem Weg durch den Hintereingang jemanden getroffen?«
»Ich glaube nicht.«
»Um wie viel Uhr waren Sie zurück im Büro?«
»Ich weiß nicht.«
»Noch eine letzte Frage, Frau Lehmann. Warum und seit wann haben Sie für Herrn Windisch gearbeitet? Sie sind doch gar nicht in seiner Abteilung.«
»Herr Windisch leitet unsere Abteilung übergangsweise, seit Frau Schicketantz …«, Jenny schluckte, »… nicht mehr da ist. Das sind jetzt ungefähr drei Monate. Aber ich hab auch vorher schon manchmal was für ihn erledigt, wenn seine Assistentin nicht da war.«
Also schon reichlich Zeit für ein Techtelmechtel, dachte Alex. »Danke, Frau Lehmann. Das ist momentan alles.«
Sofort sprang Jenny auf und verließ fluchtartig das Zimmer. Alex sah ihrer rosa Blümchenbluse nachdenklich hinterher – als ob diese ihr irgendetwas verraten könnte.
Sie würde sich den Hintereingang anschauen und überprüfen, wie lange man von dort auf die Dachterrasse brauchte. Und wahrscheinlich würde sie Jenny noch einmal intensiver über ihre Beziehung zu Windisch befragen müssen. Denn Eifersucht oder verschmähte Liebe hatten schon immer handfeste Motive abgegeben.
Die weiteren Befragungen hatten keine wesentlich neuen Informationen erbracht. Alex gähnte. Aber noch so einen scheußlichen Kaffee würde sie sich nicht antun. Die Cornelius hatte doch noch von einer externen Büro-Organisatorin gesprochen. Die war nicht auf der Liste vermerkt. Alex beschloss, direkt im zweiten Stock nach ihr zu fragen. Vielleicht konnte sie dort auch einen besseren Kaffee ergattern.
Bei Hausrat und Haftpflicht fiel Alex’ Blick als Erstes auf Jenny Lehmann, die wie ein Häufchen Elend an ihrem Tisch saß, das Gesicht in den Händen vergraben. Neben ihr standeine Frau und legte ihr mütterlich einen Arm um die Schultern. Obwohl Alex ihr Gesicht nicht sehen konnte, kam ihr die Frau bekannt vor. Als sie sich umdrehte, erkannte Alex die nette Dame vom Friedhof – Elfie Ruhland.
»Was machen Sie denn hier?«, fragte Alex überrascht.
»Ach, die junge Dame vom Friedhof«, entgegnete Elfie Ruhland und kam freudig auf Alex zu, um ihr die Hand zu reichen. »Ich bringe Ordnung in Akten und Abläufe der Sekuranz. Und was führt Sie hierher?«
Das also war die Büro-Organisatorin.
»Ich ermittle wegen des Unfalls von Herrn Windisch«, antwortete Alex, »und Sie möchte ich dazu auch befragen.«
Der freudige Ausdruck auf Elfies Gesicht erlosch. »Ach so, Sie sind von der Polizei.«
Ihre Stimme klang erstaunt. Dann straffte sich Elfie und lächelte
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