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Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Titel: Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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in der Faust und mit Glück am Kinn oder Brustkorb des Gegners landet. Deshalb ist Boxen wie der schwankende, stampfende Tanz eines tapferen Schotten an einem taufeuchten Morgen in den Highlands.
    Zwanzig Minuten lang führte ich meinen barbarischen Tanz auf, prügelte auf den großen Sack ein und ließ ihn manchmal gegen meine Brust pendeln. Seit ich mit dem Rauchen aufgehört hatte, war ich wieder besser bei Puste. Und ich musste mich gründlich auspumpen, um meiner Wut Luft zu machen.
    Ich hasste Roger Brown und Juliet und so vieles, was ich im Laufe der Jahre getan hatte. Früher hatte ich damit leben können, weil ich mir einredete, nur Leute reinzulegen und in die Falle zu locken, die Gauner und irgendeines – meist schlimmen – Vergehens schuldig waren. Aber das ging heute nicht mehr.
    Ich verpasste dem Sack Dutzende tödlicher Kombinationen, aber am Ende war ich geschlagen und musste mich keuchend auf den Knien abstützen.
    »Nicht übel«, sagte eine vertraute, raue Stimme.
    »Hey, Gordo.« Ich blickte nicht auf, weil ich nicht die Kraft hatte, den Kopf zu heben.
    »Du weißt immer noch, wie man alles gibt, wenn du beschlossen hast, alles zu geben.«
    »Und selbst damit ziehe ich in neun von zehn Fällen den Kürzeren.«
    »Du hättest Boxer werden sollen«, sagte einer von New Yorks unbesungenen Meistertrainern zu mir.
    »Dafür haben mir der billige Wein und die langen Nächte zu gut gefallen.«
    »Ein Bart wie deiner gehört in den Ring.«
    Ich bin glattrasiert. Gordo machte mir Komplimente für mein Kinn aus Eisen.
    »Wenn man lange genug auf mich eindrischt, gehe ich zu Boden wie alle anderen auch«, sagte ich.
    »1989 hättest du jeden Halbschwergewichtler verprügeln können.«
    »Irgendjemand hätte mich geschlagen.«
    »Dieser Jemand warst du selbst«, entgegnete Gordo mit Nachdruck. »Du hast dich hängen lassen, anstatt stolz und aufrecht zu stehen.«
    Ich richtete mich auf, wandte den Kopf und sah meinen besten Freund und schärfsten Kritiker an.
    Auch Gordo war klein, irgendwo zwischen eins fünfundsiebzig und eins achtundachtzig. Nach amerikanischem Rassenverständnis war er schwarz, obwohl seine Haut in Wirklichkeit eher die Farbe von ungegerbtem Leder hatte, getönt von einem Leben voller Schwielen, harter Schläge und Gebrüll. Das Blut war ihm so oft ins Gesicht geschossen, dass seine Visage in einer Art Dauerwutfärbung dunkel geworden war.
    Ich keuchte immer noch. Schließlich war ich über fünfzig.
    »Warum machst du dich immer selber so runter, LT?«, fragte der altgediente Trainer. »Du hättest wer sein können.«
    Er hätte nicht mit mir geredet, wenn einer seiner hoffnungsvollen Schützlinge beim Training gewesen wäre. Gordo gluckte über seinen jungen Boxern wie eine Krokodilsmama über ihrer Brut.
    Ich ließ mich auf den Boden fallen und klatschte mein nasses T-Shirt gegen die Wand.
    »Ich war einfach nicht der Typ, G. Ich wäre nie mit irgendeiner Form von Ordnung und Disziplin klargekommen.«
    »Du weißt jedenfalls, wie man drei Mal die Woche gegen den Sandsack haut.«
    »Reicht das?«
    Der kleine Mann mit der mürrischen Miene runzelte kopfschüttelnd die Stirn, gleichermaßen Ausdruck seiner Missbilligung wie Antwort auf meine Frage. Er wandte sich ab und humpelte zu seinem Büro auf der anderen Seite des großen niedrigen Raumes.
    Nach etwa fünf Minuten war ich wieder auf den Beinen. Ich tätschelte den Sandsack drei, vier Mal, bevor meine Knie und Hüften den Rhythmus aufnahmen. Nach einer Minute hatte ich mich in eine Art Raserei gesteigert. Vorher war ich bloß wütend gewesen, jetzt war ich verzweifelt.
    Ich glaube, ich ging nur zu Gordo’s, um mir von ihm in den Arsch treten zu lassen. Unsere Freundschaft gründete auf dem simplen Umstand, dass er nie hinterm Berg hielt. Ich war ein Versager, weil ich kein Boxer war – zumindest in seinen Augen. Es hatte ihm nie etwas ausgemacht, wenn seine Jungs verloren, nur, wenn sie sich nicht anstrengten.
    Ich schlug mit allem, was ich hatte, auf diesen Sandsack ein. Schweiß strömte über mein Gesicht, meinen Rücken und meine Schenkel. Ich fühlte mich leichter und leichter, stärker und stärker. Einen Moment lang teilte ich Schläge aus wie ein echter Fighter in einem Titelkampf; der Außenseiter, der die Quotenmacher widerlegen will. Alles fügte sich, und ich war mit jeder Faser meines Körpers bereit.
    Und dann entglitt mir das Gefühl wieder. Meine Knie wurden weich, und ich sank zu Boden. Ich hatte alles, was in

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